Energiepolitische Erzählungen: Vom Widerstreit der Argumente

Der Stromsektor steht vor einer Revolution, wobei sich naturgemäß Alt und Neu gegenüber stehen. Dabei hat es den Anschein, als seien die Würfel schon gefallen. Der Siegeszug der Erneuerbaren Energien hat begonnen. Doch wie ist die Marschmusik, die dazu gespielt wird und welche Rückzugsgefechte der Gegenseite können beobachtet werden? von Stephan Zitzler

Plötzlich gehen die Lichter aus. Maschinen stoppen, Produktionskreisläufe brechen zusammen. Eine Volkswirtschaft kommt zum Erliegen. Es tritt das ein, wovon Unternehmer und Firmenbosse in ihren schlimmsten Alpträumen heimgesucht werden. Schnell summiert sich der Schaden auf Millionen – Volkswirtschaftlich stehen sogar Milliarden auf dem Spiel. Aber auch der Otto-Normalverbraucher wird dieser Situation schnell überdrüssig, denn unzählige Haushalte sind ohne Strom. Kein Kühlschrank, kein Fernseher und kein Computer läuft mehr. Es ist, als hätte jemand einen gigantischen Stecker gezogen: Nichts geht mehr.

Vorhang auf: Vorder- und Hinterbühnen-Spiel

Vor diesem Horrorszenario wurde diesen Winter gewarnt: Halten die Stromnetze, wenn es erst einmal richtig kalt wird und der Verbrauch in die Höhe schießt? Die Blackout-Angst ging um und wurde in den dunkelsten Farben an die Wand des volkswirtschaftlichen Ruins gemalt. Dass ein solches Szenario verheerend wäre, steht außer Frage – es geht nur um die Wahrscheinlichkeit des Eintretens und die zugrundeliegenden Ursachen. Der Kristallisationspunkt der Befürchtungen liegt in dem starken Ausbau der Erneuerbaren Energien, der mit der deutschen Energiewende einhergeht.

Doch lassen sich die Warnungen der Mahner nur auf das in der Politik so oft beschworene Gemeinwohl zurückführen oder steckt mehr dahinter? Die Antwort dürfte nüchtern betrachtet auf der Hand liegen: Weniger steht das Prinzip ‚Fürsorge’ als vielmehr sprachliche Delegitimierungsstrategien im Fokus der Akteure. Interessen prägen Argumente – Argumente verschleiern aber Interessen. Folgt man dieser Logik erscheint der politische Prozess wie ein Schauspiel mit einer Vorder- und einer Hinterbühne. In der Energiepolitik erscheinen Argumente als pars pro toto – ein Konflikt der sich gerade an der Energiewende entlädt. Dabei besitzen so manche Argumente eine Doppelgesichtigkeit, die Paradoxien nach sich zu ziehen scheint.

Sicher, bezahlbar, sauber: das energiepolitische Zieldreieck

Widerstreitende Interessen verlangen in der Energiepolitik nach einem Maßstab zur Orientierung. Spätestens seit den 80er Jahren gilt es, einen Ausgleich zwischen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit zu finden – dies ist das klassische energiepolitische Zieldreieck. Was vordergründig unstrittig erscheint, war und ist umkämpft. Teilt man die Bühne grob auf, stehen sich zwei gegensätzliche Allianzen gegenüber: einerseits die Koalition, die den „Primat der Ökonomie“ und damit die Dominanz des Marktes favorisiert, und andererseits die Koalition, die für den „Primat der Ökologie“ und die Dominanz der Politik eintritt. Hier prallen zwei energiepolitische Weltbilder aufeinander. Dieser Clash zieht einen Kampf um Deutungshoheit nach sich. Die drei Ecken des energiepolitischen Zieldreiecks werden quasi gegeneinander in Stellung gebracht und auf beiden Frontlinien wird versucht, die Dominanz einer Ecke des Dreiecks im Diskurs durchzusetzen. Der „Primat der Ökonomie“ setzt auf sichere und vor allem „bezahlbare“ Energie, da die Wettbewerbsfähigkeit bei steigenden Preisen in Gefahr gesehen wird. Der „Primat der Ökologie“ legt seinen Fokus bislang auf saubere und umweltverträgliche Energie.

Streit um den energet(h)ischen Narrativ

Eine saubere und umweltverträgliche Energieversorgung ist ein Nachhaltigkeitsgebot. Herman Scheer, der als der Solarpapst galt, prägte den Begriff des „energethischen Imperativs“ – die Anlehnung an Kant verdeutlicht die ethische Dimension, die im Zusammenhang mit den Debatten um den Klimawandel mitschwingt. Es lässt sich beobachten, dass der Klimadiskurs eine gewisse Dominanz erreicht hat und die Energiepolitik nicht nur von diesem überlagert wird, sondern ihm auch in seiner Konsequenz folgt. In der öffentlichen Wahrnehmung hat dementsprechend der „Primat der Ökologie“ im Widerstreit mit dem der Ökonomie die Oberhand gewonnen. Dabei trägt er die Sympathien auf seiner Seite – die große Mehrheit der Bürger spricht sich regelmäßig in Umfragen für Erneuerbare Energien aus, was gleichbedeutend mit einer Transformation des Energiesystems ist. Dem Image der Erneuerbaren kommt in diesem Bewertungsprozess eine große Bedeutung zu. Wer hat schon was gegen „grünen“ Strom? In Kommunikationsstrategien nimmt das Framing-Konzept deshalb eine Schlüsselrolle ein: das Ziel ist immer, einen Sachverhalt in einem bestimmten Licht erscheinen zu lassen, da so eine gedankliche Prädisposition geschaffen wird. „Wer die Dinge benennt, beherrscht sie“ (Greiffenhagen).

Die Diskussion um die Stromerzeugung in Kernreaktoren verdeutlicht dies. Dabei macht es schon einen Unterschied, ob der neutrale(re) Begriff „Kernenergie“ fällt oder der negativ konnotierte Begriff „Atomkraft“. In diesem Zusammenhang erscheint auch die Bezeichnung „fossile Energien“ eingestaubt und rückwärtsgewandt. Doch die sprachliche Gegenstrategie ließ nicht lange auf sich warten. Fossile Energien gehören den energiepolitischen Dinosauriern an, die Zukunft gehört der kohlenstofffreien Energieumwandlung. Ehe man sich versah, war damit (rhetorisch gesehen) die Kernenergie wieder mit an Bord – natürlich nur dem Klima zuliebe. Auch sei der Wandel in der Energieversorgung nicht sofort zu schaffen, konventionelle Energie bräuchte man noch auf Jahrzehnte. Dies führte tatsächlich zu der paradoxen Situation, dass in der Folge der von der „Klimakanzlerin“ Merkel verkündeten Energiewende sogar Umweltverbände wie Greenpeace den Ausstieg aus der Atomstromerzeugung kritisierten. Die Sorge war und ist, dass die CO2-Reduktionsziele nicht erreicht werden würden. Im Volksmund sagt man dazu wohl: auf den Leim gegangen. Ein geschickter Schachzug der großen Energieerzeuger war das Definieren einer Brücke in ein „grünes energiepolitisches Zeitalter“. Mit dem Ausstieg aus dem Ausstieg des Ausstiegs und dem Abreißen der vorher so definierten Brückentechnologie, arbeiten Industrie und Teile der Politik schon an dem Aufbau einer neuen Brücke: nun ist es ausgerechnet die Kohle, die den Weg zu den Erneuerbaren weisen soll.

Sicher ist sicher

Solche Forderungen wurzeln natürlich nicht primär im Klimadiskurs. Die Volkswirtschaften von heute sind energiehungrige Raupen ‚Nimmersatt‘. Unbestritten ist deshalb, dass die Versorgungssicherheit ein hohes Gut ist und als ein Standortvorteil Deutschlands gegenüber vielen Konkurrenten gelten kann. Der Verweis auf sichere Energie konnte immer schon als Totschlagargument angesehen werden, um Veränderung vom Stromsektor fernzuhalten. 1995 war ein Anteil von gerade einmal fünf Prozent Erneuerbarer Energie zu verzeichnen. Schon damals wurde von den „Ökonomie-Aposteln“ prognostiziert, dass eine Verdopplung auf zehn Prozent das Netz nicht verkraften könnte. 2011 wurde die Marke von 20 Prozent geknackt – freilich ohne dass die Befürchtungen sich bewahrheitet haben. Die Skepsis zieht sich jedoch wie ein roter Faden durch die letzten 20 Jahre. Hier zeigt sich auch die Doppelgesichtigkeit der Argumente: Während die einen davon sprechen, dass die Versorgung aufgrund von hoher Volatilität von Wind- und Sonnenenergie (als Hauptpotentialträger der Erneuerbaren) gefährdet sei, da Stromerzeugung und Verbrauch zu jedem Zeitpunkt im Gleichgewicht sein müssen, sprechen die anderen davon, dass durch die Erneuerbaren Abhängigkeiten von Importen reduziert würden. Außerdem stelle man die Volkswirtschaft so auf die Knappheit der fossilen Energieträger ein, was die Versorgungssicherheit ebenfalls erhöhe.

Systemischer Interessenkonflikt

Das rhetorische Wettrüsten der Akteure um den Ausbau der Erneuerbaren Energien im Zuge der Energiewende (Energieeinsparungen und -effizienz gehen im Ringen um öffentliche Aufmerksamkeit unter) legt die Interessen der Beteiligten offen. Der Kern der energiepolitischen Weltbilder ist der (vermeintliche) Gegensatz zwischen zentraler und dezentraler Stromerzeugung. Während die Großkraftwerke der „großen Vier“ an wenigen Stellen den Strom erzeugen, der dann in die Verbrauchszentren transportiert und verteilt werden muss, soll in dem Zukunftsentwurf der Erneuerbaren an vielen Stellen direkt vor Ort Strom produziert und verbraucht werden. In diesem Widerstreit geht es um Marktanteile und Milliarden – sogar um das Fortbestehen von Unternehmensmodellen. Das Zauberwort heißt darum bei so manchem „Entschleunigung“: Die Energiewende sei eben nur zu schaffen, wenn Großprojekte wie Offshore-Windparks oder Strom aus der Wüste umgesetzt werden. Faktisch ändert man damit aber nur die Energiequelle und nicht das System. Noch immer erfolgt die Stromerzeugung zentral mit einem Abtransport über große Trassen. Fast schon verzweifelt wird sich an alten Strukturen festgeklammert. Die Politik ist dabei zwischen alle Fronten geraten, da sie in Form der Parteien selbst auch ideologischer Teilnehmer an diesem Konflikt ist. Das Wirtschafts- und Umweltministerium führen in Berlin einen kleinen Stellvertreterkrieg für die Koalitionen „Ökonomie“ vs. „Ökologie“. Dabei ist es an der Zeit, dass die Versöhnung dieser beiden Pole nicht nur eine leere Worthülse bleibt. Zwangsläufig produziert die Energiewende dabei nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Der Systemkonflikt lässt sich nicht überbrücken. Wenig überraschend zieht dies Verunsicherung bei den Betroffenen nach sich, die sich das ein ums andere Mal verbal (und taktisch bedingt) entlädt – so werden aus Ministern auch schon mal „Klima-Taliban“. Doch könnten Marktmechanismen einen effektiveren Übergang gewährleisten? Der Markt als Lösungsmechanismus ist in der Energiepolitik zu langsam, um die nötigen Anpassungen in dem offenen Zeitfenster bis 2022 zu realisieren. Schon werden neue Subventionen für Kohlekraftwerke gefordert und bei dem hohen Investitionsdruck stehen die Chancen nicht schlecht, dass diese sogar kommen werden (das hinauszögern von Investitionsentscheidungen der Verbundunternehmen erhöht diese Wahrscheinlichkeit noch). Die Politik soll für den Energiewechsel ordentlich zahlen. Und so werden die Rückzugsgefechte wohl noch weiter toben. Matthias Kurth, der ehemalige Präsident der Bundesnetzagentur, formuliert treffend dazu: „Die Art und Weise, wie wir Strom erzeugen und Umwelt und Klima schützen, eignet sich nicht als säkulare Ersatzreligion oder Mythenbildung, sondern sie erfordert die Mobilisierung der besten technischen und wissenschaftlichen Lösungen und den kreativen Wettbewerb unterschiedlicher Ideen und Konzepte.“ Statt sprachlicher Delegitimierungsstrategien und verhärteten Fronten, sollten alle Beteiligten zu einer Versachlichung der Diskussion übergehen. Das Netz hat diesen Winter übrigens gehalten.