Die Treuhand – ein (Un-)Rechtsregime?

Aus Perspektive vieler älterer Ostdeutscher scheint die Sache klar – die „Treuhand“ hatte ihnen großes Unrecht angetan. Diese wird oft sehr emotional für Abwicklung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung verantwortlich gemacht. Doch was war die Treuhandanstalt eigentlich?

Bei Westdeutschen oder Jüngeren erntet man mit dieser Frage oft ein Schulterzucken, was die dramatischen Dimensionen oft verkennt: Die Treuhand, dieses eigentümliche Gebilde zwischen Unternehmen und Behörde, hatte zwischen 1990 und 1994 kurzfristig und ohne Vorbereitung die spektakuläre Aufgabe übernommen, die 8.500 DDR-Staatsbetriebe mit über vier Millionen Beschäftigten möglichst rasch, effizient und kostengünstig von der Plan- in die Marktwirtschaft zu überführen. Der rasche Wirtschaftsumbau würde sich jedoch als hartes Krisenmanagement erwiesen: Unter der Führung westdeutscher ManagerInnen und BeamtInnen – allen voran dem Treuhand-Präsidenten Detlev Karsten Rohwedder und seiner Nachfolgerin Birgit Breuel – hatte die Treuhand Massenentlassungen und Abwicklungen in großem Stil angeordnet, deren materielle wie mentale Spuren bis heute im Osten sichtbar sind. Doch woher kam diese Idee? Wie setzte man sie in die Praxis um? Und: Welche Folgen ergeben sich daraus bis in die Gegenwart?

Die Idee: eine „Schocktherapie“

Im Herbst 1989 zeigte sich rasch, bei allem Jubel über den unverhofften Zusammenbruch des SED-Regimes und der spektakulären Öffnung der Mauer, dass man auf die damit verbundenen Fragen in Ost und West letztlich kaum vorbereitet war. Improvisation prägte fortan den keineswegs gerade vorgezeichneten Weg zur Vereinigung von DDR und Bundesrepublik, die in der Tat ein sehr einseitiger Beitritt des Ostens werden sollte: Im März 1990 stimmte eine überwältigende Mehrheit der Ostdeutschen in der ersten freien Volkskammerwahl für eine rasche Vereinigung; viele Menschen hatten keine Lust mehr auf weitere Experimente oder „Dritte Wege“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus. In der nach 40 Jahren SED-Diktatur durchaus verständlichen Hoffnung auf politische wie persönliche Freiheiten, aber auch auf raschen Wohlstand auf Westniveau strebten beide deutschen Staaten nun eine zügige Wirtschafts- und Währungsunion an, die bereits zum 1. Juli 1990 Wirklichkeit werden sollte. Der „Deal“ schien simpel: Die Ostdeutschen würden rasch die heißbegehrte D-Mark erhalten, dafür jedoch auch, das machte die konservativ-liberale Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl in Bonn klar, das westdeutsche Wirtschaftssystem – das Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft – vollständig übernehmen. Den Ostdeutschen versprach man in den aufgepeitschten Wahlkämpfen „blühende Landschaften“, den Westdeutschen ein zweites „Wirtschaftswunder Ost“, das ohne tiefere Einschnitte am eigenen Wohlstand zu haben sei.

Der ökonomische Zusammenschluss von DDR und BRD wurde damit bereits Monate vor dem politischen vollendet, der erst am 3. Oktober 1990 folgte. In der Praxis erwies sich dies als enorme Schocktherapie, vor der viele ÖkonomInnen und linke OppositionspolitikerInnen gewarnt hatten: Nach jahrzehntelanger Planwirtschaft waren viele ostdeutsche Großbetriebe kaum noch an offenen Wettbewerb gewöhnt, hatten mit zu viel Personal, massiven Umweltproblemen und obendrein oft veralteten Produkten zu kämpfen. Was sollte aus diesen gigantischen Staatsunternehmen werden? Die Lösung dafür hatten die Regierungen in Bonn und Ost-Berlin bereits einige Wochen zuvor gefunden. Mit dem „Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz)“, das am 17. Juni von der Volkskammer beschlossen wurde, betrat eine grundlegend reformierte wie auch außergewöhnliche Organisation die Bühne, die bereits im März 1990 auf Vorschlag des Runden Tisches gegründet worden war. Doch statt der „Bewahrung“ des Volksvermögens und seiner Verteilung an die Bevölkerung über Anteilsscheine, wie von Oppositionsvertretern ursprünglich vorgesehen, sollte die Treuhand nun eine möglichst rasche „Verwertung“ der Betriebe anstreben.

Die Praxis: ein „Ausnahmeregime“

Mit dem Treuhand-Gesetz war zunächst nur ein sehr hastig gezimmerter Rechtsrahmen für diese neue Aufgabe geschaffen worden. Doch die Praxis sollte nun eben nicht von PolitikerInnen oder BeamtInnen, sondern federführend von erfahrenen westdeutschen ManagerInnen und UnternehmerInnen gestaltet werden. Mit dem krisenerprobten Chef des Dortmunder Hoesch-Konzerns, Detlev Karsten Rohwedder, setze man eine sehr selbstbewusste Persönlichkeit an die Spitze der Treuhand, die ab Oktober formal dem Bundesfinanzministerium unterstand. Der neue Präsident schlug ab dem Herbst 1990 einen massiven Expansionskurs ein, stellte eilig rekrutiertes Personal ein, baute die Organisationsstrukturen der Treuhand um. Diese erinnerte in Struktur und Kultur bald mehr an ein marktorientiertes Unternehmen als an eine staatliche Bundesbehörde, wobei Rohwedder hierfür ein klares Ziel formulierte: „Privatisierung“ erschien ihm als „wirksamste Form der Sanierung“; der Treuhand-Chef wollte die Ost-Wirtschaft lieber kurz und schmerzhaft als lang und qualvoll zupackend umgestalten. Sehr schnell sollte über Verkäufe und Schließungen entschieden werden; die Organisation sollte dabei aber gerade nicht selbst durch Sanierungsaktivitäten umfassend tätig werden, sondern (zumeist) westdeutsche Investoren finden, die diese Aufgabe übernehmen würden.

Die Treuhand avancierte auf diese Weise ab 1991 zu einer Art Wirtschaftsregierung, einem ökonomischen Ausnahmeregime mit erstaunlichen Entscheidungs- und Gestaltungsspielräumen im Osten, das sich erst mit den neuen Länderregierungen und anderen politischen Institutionen arrangieren musste. Rohwedder drückte dabei im Frühjahr 1991 aufs Tempo: Die Treuhand verkündete massive Entlassungen und Schließungen, um die Betriebe, die sich nach dem ökonomischen „Schock“ oft in einer desolaten Lage befanden und massive Schulden anhäuften, rasch privatisieren zu können. Dementsprechend schlug auch in der ostdeutschen Umbruchsgesellschaft die Stimmung dramatisch um. Massive Zukunftsangst griff hier um sich und die scheinbar allmächtige Treuhand avancierte zur Zielscheibe erheblicher Proteste und Streiks, die im März 1991 ihren dramatischen Höhepunkt erlebten, als Rohwedder durch RAF-Attentäter erschossen wurde. Doch auch seine Nachfolgerin Birgit Breuel, die frühere CDU-Finanzministerin von Niedersachsen, setze weiter auf Beschleunigung. In den Jahren 1991 und 1992 schloss die Treuhand so 400, teils 500 Privatisierungsverträge im Monat ab; Ende 1992 waren rund 80 Prozent ihrer Betriebe bereits privatisiert und geschlossen worden.

Die Folgen: eine „Bad Bank“

Bereits zeitgenössisch war die Treuhand damit massiver Kritik ausgesetzt, als die Arbeitslosigkeit im Osten – verdeckt und abgepuffert durch massive Sozialtransfers – in ungeahnte Höhen stieg. Linke PolitikerInnen kritisierten dabei vor allem die enorme Geschwindigkeit, die Betrieben und Menschen im Osten kaum Zeit zur Anpassung gelassen habe; auch habe diese – so die KritikerInnen – oft nur aus betriebswirtschaftlichen, nicht aber aus volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten entschieden. In den Medien jagte unterdessen ein Skandal den anderen, Korruptionsvorwürfe wurden laut und spektakuläre Protest-Aktionen wie der Hungerstreik von Bergarbeitern im Thüringischen Bischofferode im Sommer 1993 verliehen der Treuhand endgültig das Image einer finsteren Skandalbehörde, deren arrogante West-ManagerInnen selbstherrlich jenseits von Recht und Gesetz agierten. Bereits im Frühjahr 1993 war ein umfassender Korruptionsskandal in der Treuhand-Niederlassung in Halle enttarnt worden, bei dem ein schwäbischer Investor zahlreiche Treuhand-ManagerInnen geschmiert und fast zwei Dutzend Betriebe übernommen hatte. Auch die Politik machte die Treuhand verstärkt zum Thema, etwa in einem eigenen Untersuchungsausschuss des Bundestages, der 1993/94 unter der Leitung des SPD-Politikers Otto Schily stand.

Doch all dieser Debatten zum Trotz konnte die Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel am 31. Dezember 1994 unter großem Medienandrang das „Firmenschild“ der Treuhand abschrauben und die „Selbstauflösung“ der Organisation verkünden. Die (Drecks-)Arbeit schien getan – doch um welchen Preis? Während es nach der Jahrtausendwende allmählich still um die Treuhand wurde, als viele Ökonomen, Juristen und Sozialwissenschaftler das Interesse an diesem Extremfall verloren hatten, brachen vor allem nach 2015 neue Diskussionen um die Treuhand und ihr langfristiges Erbe wieder auf. Materiell haben die forcierten Privatisierungen dazu geführt, dass etwa 80 Prozent der Industrie-Unternehmen zumeist von westdeutschen Unternehmen übernommen wurde. Bis heute erscheint die ostdeutsche Wirtschaft daher als „verlängerte Werkbank“ oder ist von vielen kleineren und mittleren Unternehmen geprägt. Viele ostdeutsche Regionen haben sich derweil nach jahrzehntelanger Abwanderung und Schrumpfung, allmählich stabilisiert, besonders die größeren Universitätsstädte haben sich zu strahlkräftigen Leuchttürmen entwickelt.

Demgegenüber erscheinen die kulturellen beziehungsweise mentalen Langzeitfolgen des rasanten Wirtschaftsumbaus noch immer spürbar. Dabei ist es insbesondere die Treuhand, die vielen älteren Ostdeutschen als das zentrale wie hochemotionale Symbol einer feindlichen „Übernahme“ oder gar „Kolonisierung“ des Ostens durch den Westen erscheint. In einer explorativen Studie haben wir von einer emotionalen „Bad Bank“ gesprochen, bei der viele einstmals von den gravierenden Umbrüchen Betroffene ihre negativen Erfahrungen mit Marktwirtschaft und Demokratie aus den frühen 1990er-Jahren auch langfristig „eingelagert“ haben. Von daher erschien es kaum verwunderlich, dass die Treuhandanstalt und ihre verwickelte (Erinnerungs-)Geschichte nicht nur in den Medien, sondern auch in der Politik neuerliche Aufmerksamkeit erhalten hat – so forderte in den Landtagswahlkämpfen des Jahres 2019 nicht nur die traditionell Treuhand-kritische Linke, sondern auch die rechtspopulistische AfD einen neuen Untersuchungsausschuss zur Treuhand, um das von dieser versachte „Unrecht“ aufzuklären. Jenseits dessen sind die rasanten Wirtschaft- Gesellschaftsumbauten nach 1989/90 sowie die Transformationen in Osteuropa insgesamt wieder zu zentralen Themen verschiedener Wissenschaftsdisziplinen geworden. Und auch die Geschichte der Treuhand erscheint längst nicht abgeschlossen: Welche weiteren Funde das seit 2016 systematisch erschlossene und in seinen Ausmaßen gigantische Treuhand-Archiv noch bereithalten wird – die Zukunft wird es zeigen.

Dr. Marcus Böick ist Akademischer Rat am Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. 2018 erschien seine Dissertation „Die Treuhand: Idee – Praxis – Erfahrung“. Im Jahr 2017 war er Mitautor der Regierungsstudie zur „Wahrnehmung und Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt“