Europawahl 2019: Kleine und große Sieger

Das war sie also, die vielbeschworene „Schicksalswahl“. In Teil 1 unserer Serie zur Europawahl 2019 lesen Sie, was die Wahlergebnisse für die deutschen Parteien bedeuten. Außerdem: Was sagen eigentlich die Duisburger Studierenden zum Wahlausgang? Wir haben uns umgehört.

Am Tag nach der Europawahl führt der Weg zum Campus der Universität Duisburg vorbei an den Wahlsiegern. Auf dem Sternbuschweg gegenüber der Traditionskneipe „Finkenkrug“ lacht Martin Sonneborn vom Plakat der Satirepartei Die Partei. „Sonneborn bleibt in Europa“ steht in weiser Vorahnung unter dem Bild des Kandidaten. Wenige Meter weiter folgt direkt am nächsten Laternenpfahl ein Wahlplakat der Grünen, bevor kurz hinter einer Ampel in der Lotharstraße die paneuropäische Bewegung Volt noch für „Ein Europa wie wir es wollen“ wirbt. Während Die Partei nun doppelt so viele Abgeordnete wie zuvor in das Europäische Parlament schicken kann, freuen sie sich bei Volt darüber, dort zum ersten Mal vertreten zu sein. Und die Grünen wähnen sich nach ihrem Wahlerfolg auf dem Weg zur neuen Volkspartei. Der Jubel dürfte bei allen drei Parteien am Sonntag groß gewesen sein.

Ganz so ausgelassen ist die Stimmung unter den Studierenden am Campus der Duisburger Uni nicht. „Halb positiv“ beurteilt Birte Högden das Ergebnis. Sie freue sich einerseits darüber, dass die Grünen so viele Stimmen bekommen haben. „Sehr bedenklich“ findet die 26-jährige Studentin der Kognitions- und Medienwissenschaften aber das Ergebnis der AfD.

Welche Themen waren für Duisburger Studierende bei der Wahl am wichtigsten?

Fragt man die Studierenden hier nach dem wichtigsten Thema dieses Wahlkampfes, erhält man meistens „Klima und Umwelt“ als Antwort. Die Schülerproteste der Fridays for Future-Bewegung seien „einfach extrem viel in den Medien gewesen“, findet auch Jannis Prinz. Er ist 23 und studiert BWL im Master.

Damit decken sich die Einschätzungen der Duisburger Studierenden mit den Daten, die Infratest dimap zur Europawahl für die ARD erhoben hat: Klima- und Umweltschutz sind für 48 Prozent der Befragten das wichtigste Thema bei ihrer Wahlentscheidung – das ist ein Anstieg um 28 Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Europawahl 2014. Weil bestimmte Themen mit einer bestimmten Partei verbunden werden, ergibt sich für die Grünen hieraus eine besonders günstige Ausgangslage. Ihnen werden nämlich genau in diesem Politikfeld die meisten Kompetenzen zugesprochen. Ist das Thema nun auch noch permanenter Bestandteil des öffentlichen Diskurses, nützt das den Grünen enorm – und genau das war der Fall. Damit lässt sich zumindest in Teilen erklären, wie die Grünen zur zweitstärksten Kraft in Deutschland werden konnten. Selbst in eher sozialdemokratisch dominierten Regionen wie dem Ruhrgebiet erhielten sie überdurchschnittlich viele Stimmen. In Duisburg brachte es die Partei auf einen Stimmanteil von 19,5 Prozent, in Essen reichte es zu 22,8 Prozent und in Dortmund wurden sie mit 25 Prozent sogar stärkste Kraft.

Wie hat die AfD abgeschnitten?

Während mit den Grünen eine der deutschen Oppositionsparteien kräftig zulegen konnte, fallen die Zugewinne bei der AfD moderater aus. Für einige Studierende an der Uni Duisburg ist das dennoch zu viel. So geht es zum Beispiel Neele Daun, die ebenfalls im Master BWL studiert. Sie sei traurig, weil die AfD so gut abgeschnitten habe, sagt sie mit Blick auf die Wahlergebnisse. Auf elf Prozent kommt die rechtspopulistische Partei laut dem vorläufigen amtlichen Ergebnis. Damit ist sie nicht so stark wie erwartet, gegenüber der Wahl 2014 konnte sie ihr Ergebnis aber um knapp vier Prozentpunkte steigern. Besonders in Ostdeutschland konnte sie große Erfolge einfahren und wurde in manchen Landkreisen sogar stärkste Partei. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Europawahlen den Wählerinnen und Wählern auch dazu dienen, die Regierungsparteien abzustrafen, hätte ein besseres Abschneiden der AfD nicht überrascht. Dies mag jedoch auch daran gelegen haben, dass das Thema Migration und Zuwanderung im Europawahlkampf nicht so eine große Rolle spielte wie beispielsweise noch bei der Bundestagswahl 2017, als die AfD 12,6 Prozent der Stimmen gewann. Das Ibiza-Video und die anhaltenden Spendenskandale rund um die Partei dürften ihr Übriges getan haben.

Zu den Siegern dieser Wahl zählt am Ende eindeutig die Wahlbeteiligung. Sie lag in Deutschland bei 61,4 Prozent, das sind 13,5 Prozentpunkte mehr als 2014. Auch europaweit stieg die Wahlbeteiligung auf knapp 51 Prozent und ist damit die höchste seit zwanzig Jahren.

Starke Verluste für die Regierungsparteien der Großen Koalition

Und wie ist die Lage bei den Regierungsparteien der Großen Koalition? Sowohl die Union als auch die SPD mussten am Sonntag herbe Verluste verkraften. Die Sozialdemokraten erwischte es jedoch ungleich härter: Sie erlebten ein Debakel und verloren im Vergleich zu 2014 11,5 Prozent der Stimmen. Zumindest auf dem Duisburger Campus scheint eine Erklärung für diese Niederlage schnell gefunden: „Viele fühlen sich von der SPD nicht mehr angesprochen“, sagt Birte Högden. Laut Infratest dimap sehen das 62 Prozent der Befragten ähnlich und finden: „Man weiß bei der SPD nicht, wofür sie eigentlich steht“. Und es kommt noch schlimmer: Für 43 Prozent war soziale Sicherheit das wichtigste Thema bei dieser Wahl – nur fünf Prozentpunkte hinter Umwelt- und Klimaschutz. Es wäre also Potenzial da, das die SPD hätte nutzen können. Doch bei ihrem Kernthema der sozialen Gerechtigkeit sieht es für die SPD derzeit düster aus. Hier schätzen nur noch 29 Prozent der von Infratest dimap Befragten die Sozialdemokraten als kompetent ein. Zum Vergleich: 2017 waren es noch 38 Prozent und 1998 gar 54.

Für den Koalitionspartner CDU/CSU lief es zwar nicht viel besser, die Union wurde aber immerhin die mit Abstand stärkste Kraft. Sie offenbarte jedoch in letzter Zeit ungewohnte Schwächen. So zeigte sich die Union wenig souverän im Umgang mit der Fridays for Future-Bewegung sowie dem Youtuber Rezo. Auf dessen Video reagierte das Konrad-Adenauer-Haus mit einer elfseitigen PDF-Botschaft im Hausarbeitsstil und offenbarte damit, wie sehr das Internet noch „Neuland“ für die Partei ist. Ungewiss scheint auch, ob AKK in die großen Fußstapfen von Angela Merkel treten kann. Derzeit finden nur 23 Prozent, dass sie eine gute Bundeskanzlerin wäre.

Wer sind die „Sonstigen“?

Und dann waren da ja noch all die Kleinparteien: Der graue Balken am rechten Rand der Hochrechnungsgrafiken wuchs bei dieser Wahl besonders weit in die Höhe. Knapp 13 Prozent sammelten die „Sonstigen“. Zählt man CDU und CSU getrennt, werden Vertreter von 14 deutschen Parteien in Zukunft im Europaparlament sitzen. Darunter sind zum Beispiel Die Partei und die Freien Wähler mit jeweils zwei Sitzen oder die Partei Mensch Umwelt Tierschutz, die ebenso wie Volt, die ÖDP, die Familien-Partei und die Piratenpartei einen Sitz erringen konnte. Möglich ist das, weil es bei der Europawahl in Deutschland keine Fünf-Prozent-Hürde gibt.

Die Wahlplakate im Sternbuschweg und in der Lotharstraße werden schon bald entsorgt werden. Doch die Spuren dieser Europawahl werden bleiben. Vor allem auf die Parteien der großen Koalition wird nun viel Arbeit zukommen. Sollten sie den Reformprozess nicht schaffen, müssen sie sich eventuell bald die Frage stellen lassen: Kann das weg?

 

Das war der Blick auf einige der deutschen Parteien und auf die Stimmung am Duisburger Campus. Im zweiten Teil unserer Serie zur Europawahl 2019 lesen Sie in den kommenden Tagen auf unserer Homepage ein Interview mit Prof. Dr. Michael Kaeding. Dort erklärt er, wie die Ergebnisse auf europäischer Ebene zu beurteilen sind und wer die besten Chancen hat, KommissionspräsidentIn zu werden.

Ein Beitrag von Jan Eike Schönfelder und Tim Frehler 

Jan Eike Schönfelder studierte im Bachelor Internationale Beziehungen und Staatswissenschaften in Erfurt und Lille und ist seit 2018 Masterstudent an der NRW School of Governance. Er verfügt über Praxiserfahrung aus dem Bundestag und dem Bundesministerium der Verteidigung.

 

Tim Frehler studierte im Bachelor Staatswissenschaften in Passau und Tartu und ist seit 2018 Masterstudent an der NRW School of Governance. Praktische Erfahrungen sammelte er unter anderem im Journalismus, sowie in der Öffentlichkeitsarbeit eines Rundfunksenders.