im spannungsfeld zwischen wirtschaftspolitik und ethik

Am 28. Juni war es wieder so weit. Eine hochrangige Delegation aus China unter der Führung des Premierministers Wen Jiabao traf in Berlin ein. Verträge in Milliardenhöhe wurden unterzeichnet und die Kanzlerin rief sogar eine neue Ära der deutsch-chinesischen Beziehungen aus. Überhaupt läuft der Handel zwischen China und Deutschland seit Jahren bestens und in einem atemberaubenden Tempo.

Deutschland ist inzwischen Chinas wichtigster Handelspartner in Europa. Kein anderes europäisches Land exportiert und importiert so viele Waren in und aus dem Reich der Mitte. Fast jedes große deutsche Unternehmen hat eine eigene Niederlassung in China beziehungsweise ein Joint Venture mit einer chinesischen Firma. Die 1,34 Milliarden Chinesen und Chinesinnen bescheren Unternehmen wie Volkswagen Milliardengewinne und machen China zu ihrem wichtigsten Absatzmarkt. Somit wundert es auch kaum, dass deutsche Unternehmen seit 1999 die größten europäischen Investoren in China sind. Bis Ende 2007 wurden bereits 15 Milliarden investiert. Eine Erfolgsgeschichte, könnte man also meinen, sicherlich aber nur nach wirtschaftlichen Maßstäben. Denn China ist nicht nur ein bedeutender Absatzmarkt für deutsche Maschinen und Autos, sondern auch ein autoritäres Regime, in dem Menschenrechte wenig zählen und Minderheiten unterdrückt werden. In China gibt es weder eine freie Presse noch eine demokratisch gewählte Regierung, geschweige denn Religionsfreiheit. Ethnische Minderheiten wie etwa Tibeter, Uiguren und andere werden diskriminiert. Versammlungen und Demonstrationen werden von der Polizei gnadenlos niedergeknüppelt. Der Dalai Lama, von vielen im Westen verehrt, gilt als Staatsfeind Nummer eins.

Aber nicht nur gegen Minderheiten geht die chinesische Führung erbarmungslos vor. Amnesty International schätzt, dass in der VR China im vergangenen Jahr mehr Menschen exekutiert wurden, als in allen anderen Ländern dieser Welt zusammen. Zudem steht in China nicht nur auf Mord die Todesstrafe, wie etwa in den USA, sondern auf 68 weitere Verbrechen, vom Handtaschenraub, wie in der Provinz Guangdong, bis hin zu Betrug im ganzen Land. Regimekritiker verschwinden häufig von einem auf den anderen Tag spurlos oder werden unter Hausarrest gestellt. Der Künstler Ai Weiwei ist nur einer von vielen, dem es so ergangen ist. Besonders erschreckend ist zudem, wie banal die Gründe sind, warum Menschen für eine lange Zeit eingesperrt werden. 2010 twitterte beispielsweise ein junges Mädchen einen Demonstrationsaufruf. Die Demonstration fand nicht statt und trotzdem musste sie für mehrere Jahre in ein Umerziehungslager. Die Liste mit den chinesischen Menschenrechtsverletzungen könnte man noch ewig weiterführen, aber diese wenigen Beispiele zeigen schon eins: ein Menschenleben zählt wenig in China und in China wird gegen fast alles verstoßen, was unser Grundgesetz schützen soll. Wie ist es also vertretbar, mit einem Land wie China in diesem Ausmaß Handel zu treiben ohne alle ethischen Grundsätze über Bord zu werfen, für die unser Land steht? Darf Profi t wirklich über ethischen Grundsätzen stehen? Die Bundesregierung befindet sich hier offenbar in einem Dilemma, für das es keine einfache Lösung gibt. Auf der einen Seite wäre es naiv zu glauben, man könnte einfach den größten Absatzmarkt der Welt ignorieren. Aber auf der anderen Seite kann man auch nicht einfach Grundsätze wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ignorieren.

Das leidige Thema: Menschenrechte

Aus den oben genannten Gründen versucht etwa die Bundeskanzlerin immer wieder höflich, wenn gleich etwas unbeholfen, Menschenrechtsverletzungen bei offiziellen Gesprächen mit der chinesischen Regierung anzusprechen. Allerdings mit wenig Erfolg. Denn die Chinesen wissen genau, dass Deutschland es sich nie leisten könnte, den Handel mit ihnen herunterzufahren. Wir brauchen die Chinesen mittlerweile mehr als sie uns brauchen – eine Wahrheit, die nicht jedem gefallen dürfte, aber die mittlerweile zur Realität geworden ist. Die Maßregelungen von deutscher Seite werden von der chinesischen Regierung mit einem netten Lächeln quittiert und anschließend ignoriert. Deshalb mutet es auch etwas bizarr an, wenn Merkel, wie im Juni dieses Jahres geschehen, den chinesischen Premierminister wegen Menschenrechtsverletzungen maßregelt und anschließend Verträge in Milliardenhöhe unterschreibt. Nur einmal hat es die Kanzlerin in ihrer Amtszeit gewagt, die chinesische Regierung herauszufordern. Am 23. September 2007 traf sie Pekings Staatsfeind Nummer eins, das religiöse Oberhaupt der Tibeter, den Dalai Lama, im Berliner Kanzleramt. Dies war eine mutige Entscheidung der deutschen Bundeskanzlerin, denn die Chinesen hatten schon vor dem Besuch heftig protestiert. Obwohl der Besuch des Dalai Lamas offiziell als privater Termin der Kanzlerin deklariert wurde, fiel die Reaktion auf chinesischer Seite heftig aus. Mehrere Treffen und Konferenzen auf Ministerebene wurden ohne Grund abgesagt und der deutsche Botschafter in China wurde offiziell einbestellt. Merkel wurde daraufhin auch von deutschen Wirtschaftsführern vorgeworfen, das deutsch-chinesische Verhältnis unnötig belastet zu haben. Der damalige BDI-Chef Thumann appellierte beispielsweise umgehend an die Regierung, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wieder zu verbessern. Zwar gab die Kanzlerin offiziell bekannt, sich nicht vorschreiben zu lassen, wen sie treffen würde und wen nicht. Gleichzeitig bemühte sich aber ihr damaliger Außenminister Frank-Walter Steinmeier darum, hinter den Kulissen die Wogen wieder zu glätten und die chinesische Regierung zu beruhigen. Eines hat dieser Vorfall gezeigt: China duldet keine Einmischungen, die über harmlose und folgelose Ermahnungen von deutscher Seite bei Pressekonferenzen hinausgehen. Die Kanzlerin hat ihre Lektion gelernt, seit 2007 hat sie den Dalai Lama nie wieder empfangen. Zufall oder nicht, das möge jeder für sich selber entscheiden. Fest steht, dass Deutschland nach der Finanzkrise 2008 und der aktuellen Euro-Krise noch stärker in die Abhängigkeit der Chinesen gerückt ist als es noch 2007 der Fall war.

Triumph der wirtschaftlichen Interessen

Wie man mit den Menschenrechtsverletzungen in der VR China umgehen sollte, darauf gibt es keine einfache Antwort. Die Regierung muss sich dennoch die Frage gefallen lassen, was China etwa von anderen autoritären Regimen unterscheidet, die wegen Menschenrechtsverstößen mit Sanktionen von deutscher Seite belegt wurden. Als sicher gilt hingegen, dass nicht danach entschieden wird, welches Land Menschenrechte einhält oder nicht, sondern lediglich danach, wie wichtig dieses Land als wirtschaftlicher Partner ist. Die wirtschaftlichen Interessen triumphieren also über die ethischen Prinzipien. Jetzt, wo die Europäische Union auf die Hilfe Chinas angewiesen ist, um den Euro zu retten, zum Beispiel durch den Kauf von Staatsanleihen kriselnder Eurostaaten, werden es sich die europäischen Politiker zweimal überlegen, ob sie es sich noch leisten können, Menschenrechtsverstöße in China offen zu kritisieren oder sogar zu sanktionieren. So passt es ins Bild, dass der einzige Störenfried bei dem Treffen am 28. Juni dieses Jahres NDR-Journalist Tobias Schlegl war, der versuchte Wen Jiabao und Merkel eine goldene Katzenfigur zu überreichen und dabei rief „Freie Fahrt für die Wirtschaft, wer braucht da noch Menschenrechte“. Merkel und Jiabao flüchteten rechtzeitig, bevor er sie erreichen konnte.