kopf oder zahl

Die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika ist vorüber. Das Land hat ein Fest der Freude gefeiert und die Weltöffentlichkeit überrascht. Die sozialen Probleme hingegen bestehen fort. War die WM wirklich der große Erfolg, wie ihn die südafrikanische Regierung versprochen hat?

Beginn des Spiels. Der Schiedsrichter steht mit den Spielführern beider Mannschaften im Mittelkreis. Kopf oder Zahl – sie entscheiden, auf welches Tor die Mannschaften spielen. Eine Richtungsentscheidung. Südafrika stand vor einer ähnlichen, aber weitaus wichtigeren Entscheidung. Globale Anerkennung oder Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit? Die Mächtigen im Land entschieden sich für die Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2010. Das Megaevent wurde als größte Chance für das Land gepriesen. Kopf oder Zahl. Rückblick. In aller Welt freut man sich auf die WM. In Deutschland werden leuchtende Fahnen, Trikots und bunte Plastiktröten zum Verkaufsschlager. Die Freude ist jedoch nicht ungetrübt. Sicherheitsbedenken werden lauter. Die Kriminalitätsrate in Südafrika zählt zu den höchsten der Welt. Statistisch betrachtet geschieht alle halbe Stunde ein Mord, alle zwei Minuten eine schwere Körperverletzung. Insbesondere in den Townships, den südafrikanischen Armenvierteln, ist Gewalt an der Tagesordnung. Es liegt ein gewisses Unbehagen in der Luft. Afrika, die Dritte Welt, Fußballweltmeisterschaft – war dies die richtige Entscheidung? Ungewissheit. Kopf oder Zahl.

Zuma: „Der soziale Nutzen ist unbezahlbar.“

Südafrika hat es geschafft. Die ganze Welt hat auf den gebeutelten Kontinent geschaut. Dem Land wurde applaudiert, die Berichterstattung war fast durchweg positiv. Die Weltmeisterschaft: ein Erfolg! Nach Ansicht von Staatspräsident Zuma ist der soziale Nutzen unbezahlbar. Die Bilder, die bislang das Land am südlichsten Zipfel Afrikas beherrscht haben, sind verschwunden. Von Morden und hungernden Menschen ist während der Weltmeisterschaft nichts zu lesen. Jubelnde, tanzende Menschen, Vuvuzelas in allen Farben, ein fröhliches Fußballfest, Schwarz und Weiß vereint, das sind die Eindrücke, die die öffentliche Berichterstattung im Laufe der Fußball-WM geprägt haben. Südafrika erscheint wie neu geboren. Die Fußballweltmeisterschaft hat das Image des Landes bei den Zuschauern an den Bildschirmen der Welt verändert. In vielen Köpfen ist ein neues Bild von Afrika, jenseits von Armut, Hunger und Gewalt, entstanden. Das Problem ist, die breite Bevölkerung spürt hiervon wenig. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in kaum einem anderen Land so spürbar wie in Südafrika. Etwa die Hälfte der rund 50 Millionen Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Ein vierwöchiger Freudentaumel namens Fußballweltmeisterschaft löst leider nicht die Probleme – Hunger, Arbeitslosigkeit, HIV-Erkrankungen – all das gibt es weiterhin.

Ein Freudenfest – um jeden Preis

Das Land hat noch immer mit den Folgeschäden der Apartheid zu kämpfen. Wegen der systematischen Diskriminierung der farbigen Bevölkerung wurde Südafrika lange Zeit von der internationalen Staatengemeinschaft geächtet. Dieses Bild lastet der jungen Republik noch immer an. Die Mächtigen rund um Staatspräsident Jacob Zuma sahen in der WM eine Chance, den Ruf des gespaltenen Landes endgültig abzulegen. Südafrika, die Regierung, sollte in neuem Glanz erstrahlen. Statt seine geballte Energie in die Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit zu stecken, sollte die Weltmeisterschaft das lang ersehnte Heil bringen. Die Fußballweltmeisterschaft – sie musste in Südafrika stattfinden. Ein Freudenfest um jeden Preis. Die Richtungsentscheidung, sie stand fest. Kopf oder Zahl. Kopf. „It’s Africa’s turn!“, mit diesem Leitspruch haben die Südafrikaner sich um die Ausrichtung des Turniers beworben. Eines hat Südafrika geschafft, es hat der Welt bewiesen: Afrika gehört zur (sportlichen) Weltgemeinschaft dazu. Das Land hat Milliarden in des Megaevent investiert und dabei Hunger und Armut in den medialen Hintergrund gedrängt. Eine Arbeitslosenquote von 27 Prozent, wobei die tatsächliche Quote wohl sehr viel höher liegt, wird nicht thematisiert. Vielmehr wird die Schaffung von 50.000 neuen Arbeitsplätzen im Rahmen der WM gepriesen, obwohl die meisten davon nur temporär angelegt sind. Auch die Lebenssituation der farbigen Bevölkerung in den Townships soll in den Medien möglichst wenig Beachtung finden.

 

Verantwortung sieht anders aus

Ein solches Sportereignis mag zwar die Bevölkerung für den Augenblick zusammen wachsen lassen – vergrößert sich die Kluft zwischen Arm und Reich hingegen weiter, dient dies dem sozialen Frieden nicht. Südafrika gilt als das Vorzeigeland auf dem afrikanischen Kontinent, es trägt Verantwortung. Der Begriff Verantwortung enthält etwas Nachhaltiges. Trotz immenser Arbeitslosigkeit herrscht in dem aufstrebenden Land ein Fachkräftemangel. Auch dies ist eine Spätfolge der Apartheid. Die farbige Bevölkerung wurde lange Zeit vom Bildungssystem ausgeschlossen, und immer noch gilt ein Großteil dieser Bevölkerungsgruppe als ungebildet. Dies wiederum führt zu Perspektivlosigkeit und schlägt sich in Kriminalität nieder. Anstatt das Land zu reformieren, wurden zehn riesige Stadien gebaut, von denen keiner weiß, was nach der WM mit ihnen passieren soll. Der Publizist Sam Stole brachte es auf den Punkt: „Es ist eine Tragödie, wie viel Arbeitszeit, Geld, Fähigkeiten und Energie in ein Projekt versenkt werden, das kaum mehr als eine einmonatige Fernsehshow ist.“ Verantwortung sieht wirklich anders aus.

Abseits vom ganzen Fußballjubel, benötigt Südafrika Reformen. Insbesondere auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik besteht dringender Handlungsbedarf. Damit das Land auch langfristig wirtschaftlich aufsteigen kann, muss die Arbeitslosigkeit nachhaltig bekämpft werden. Es werden vor allem qualifizierte Arbeitnehmer benötigt. Die Förderung im Bildungssektor scheint hier selbstverständlich. Doch bislang gibt es nicht einmal eine funktionierende öffentliche Arbeitsvermittlung. Private Leiharbeitsfirmen fungieren wie moderne Sklavenhändler, sie beuten Arbeiter aus und zerstören die Tariflandschaft. Arbeitsrechte und Arbeitsschutz sind diesem Sektor weitestgehend fremd, Berufsbildung ist ein Fremdwort.

Südafrika braucht eine Wirtschaftspolitik mit Weitsicht. Der Aufschwung darf nicht weiter auf dem Rücken der Ärmsten ausgetragen werden. Von einer aktiven Arbeitsmarktpolitik müssen vor allem die unteren Bevölkerungsschichten profitieren. Immerhin investiert das Land bereits 20 Prozent seiner Staatsausgaben in Bildung. Gezielte Qualifizierungsmaßnahmen für die größtenteils ungebildeten Bewohner der Townships und die Verankerung menschenwürdiger Arbeitsrechte müssen folgen. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bringen auch Vorteile für die so wichtigen Investoren. Südafrika kann den Aufstieg schaffen. Das Land ist reich an Bodenschätzen und politisch weitestgehend stabil. Geht die Schere zwischen Arm und Reich jedoch weiter auseinander, birgt dies Risiken für das gesamte Land. Soziale Unruhen schrecken ausländische Firmen ab. Sozialer Friede als Standortfaktor ist bedeutsamer als ein geschminktes Südafrika, das vier Wochen lang im Licht der Weltöffentlichkeit steht. Die Korruptionsvorwürfe, mit denen es die südafrikanische Regierung nur kurze Zeit nach der WM in die Schlagzeilen geschafft hat, sind diesem Anliegen auf jeden Fall abträglich. Gerät das Land aus dem Gleichgewicht, dürfte die milliardenschwere Imagekampagne „Fußballweltmeisterschaft“ schnell verpufft sein.

The Match must go on

Beim Fußball motiviert der Spielführer die Mannschaft und hält sie zusammen. Ein Team kann nur erfolgreich vom Platz gehen, wenn alle Spieler gemeinsam agieren. Jeder Einzelne ist wichtig, springt ein Mannschaftsmitglied aus der Reihe, geht oft das gesamte Spiel verloren. Der Spielführer muss sich dessen bewusst sein, er gibt die Richtung vor. Dem Spielführer Südafrikas, der Regierung, fällt eine schwierige Aufgabe zu. Die richtige Richtung zu finden, gehört bislang nicht zu ihren Stärken. Die Spiele der WM sind lange abgepfiffen. Südafrika ist schnell wieder aus der Weltöffentlichkeit verschwunden. Der Glanz der Weltmeisterschaft ist verflogen. Das Leben hat sich für die Menschen in Südafrika kaum verändert. Der oft beschworene Trickle-Down-Effekt ist ausgeblieben. Doch das Spiel für Südafrika – es geht weiter. Hoffentlich stürmt die Mannschaft diesmal auf das richtige Tor. Bislang zeichnet sich ein eher düsteres Bild ab. War dies die richtige Entscheidung? Kopf oder Zahl. Zahl. Zahlen dürfen nicht immer die Ärmsten. Die südafrikanische Bevölkerung liegt zurück. Die Regierung hat ein Tor geschossen, leider ins falsche Netz. Die Gewinner dieses ungerechten Spiels heißen Blatter und Zuma, Verlierer gibt es Unzählige, sie haben keine Namen und geraten schnell in Vergessenheit. Vorsicht ist geboten, eine Mannschaft besteht nur als Team. Eine Spaltung bedeutet das Aus. Noch besteht Hoffnung, the Match must go on und das Land geht in die Verlängerung.

Christian Weber

studiert nach einem Studium der Verwaltungswissenschaften den Master Politikmanagement an der NRW School of Governance. Praktische Erfahrungen konnte der diplomierte Verwaltungswirt u.a. in der Abteilung Regierungsplanung der Staatskanzlei NRW sowie in den Bereichen Internationale Arbeits- und Sozialpolitik und Öffentlichkeitsarbeit im Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Berlin sammeln.