klicken bis die kanzlerin kommt – von den chancen und risiken des e-votings

In Zeiten von Web 2.0 und zunehmender Beschleunigung ist es ein viel diskutierter Schritt, auch Formen der Partizipation leichter, billiger sowie schneller abzuwickeln und somit auf elektronischem Wege durchzuführen. E-Partizipation und E-Voting sind dabei technisch gesehen längst realisierbar. Doch welche Aspekte halten die Implementation dieser bestehenden Möglichkeiten auf? Gesellschaftliche, politische, technische sowie rechtliche Gründe sprechen sowohl für, als auch gegen die Einführung von E-Voting.

Sie brauchen noch ein Geburtstagsgeschenk für einen Freund? Sie haben wenig Zeit? Sie sind im 21. Jahrhundert angekommen und verfügen über einen Internetzugang? Kein Problem, schnell die Webseite eines großen Internetauktionshauses besucht, Geschenk gekauft, per Onlinebanking bezahlt und ein paar Tage später haben Sie den Artikel zu Hause. Kein Stress, keine Parkplatzsuche und oben drauf noch 14-tägiges Umtauschrecht. Gut, oder? Anderes Beispiel, gleiche Ausgangssituation: Sie haben zum Geburtstag von einem Freund ein Auto geschenkt bekommen. Zugegeben, ein wenig überzogen. Aber es ist ein wirklich guter Freund. Sie haben nach wie vor wenig Zeit. Also schnell die Webseite der zuständigen Kommune besucht und ein Wunschkennzeichen auf ihren Namen reserviert. In einigen Kommunen ist es sogar möglich, Fahrzeuge online an- und abzumelden. Wer an einem Samstagvormittag schon einmal versucht hat, ein Auto auf die alt-analoge Weise im Amt anzumelden, weiß um die Entlastung in dieser Sache. Die Digitalisierung, die in immer mehr Bereiche der Gesellschaft vordringt, bringt für viele Menschen enorme Erleichterungen. Warum also nicht einfach auch seine Stimme zur nächsten Bundestagswahl elektronisch abgeben?

Willkommen in der virtuellen Wahlkabine!

Um nicht durcheinanderzukommen sollte man zunächst zwischen verschiedenen Arten von E-Voting unterscheiden. Eine Möglichkeit dabei ist, seine Stimme an einem Wahlcomputer im Wahllokal abzugeben. Es gibt aber auch das sogenannte IVoting, bei dem die Stimme über das Internet abgegeben werden kann. Die Vorteile liegen gerade beim I-Voting klar auf der Hand: Dem Wähler wird eine sehr hohe Mobilität ermöglicht, da er von überall auf der Welt oder ganz einfach von seinem Wohnzimmer aus an die virtuelle Wahlurne treten kann. Die Vorteile könnten zum einen etwa eine wesentlich höhere Wahlbeteiligung gerade bei jungen Wählern und zum anderen große Kostenersparnisse sein. Man müsste darüber hinaus nicht mehr scheinbar endlose Stunden auf ein Wahlergebnis warten, sondern hätte praktisch ab 18 Uhr am Wahlabend ein offizielles Ergebnis vorliegen. Ein weiterer Faktor, der für das I-Voting, aber auch für das E-Voting spricht ist, dass es für den Wähler nicht mehr möglich wäre, versehentlich eine oder mehrere ungültige Stimmen abzugeben. Eine schöne und zukunftsorientierte neue Wahlwelt, die sich da auftut: Bequem im Pyjama bei elektronisch bestellter Pizza die Piratenpartei wählen.

Stillstand gleich Rückschritt?

Aber ist die gute alte analoge Art wählen zu gehen wirklich so von gestern, wie sie besonders im Lichte des I-Votings erscheint? Wäre „Retro-Voting“ vielleicht doch die bessere Wahl? Und: Wo liegen die Nachteile? Fragen über Fragen. Natürlich gibt es auch beim E-Voting, welches das I-Voting mit einschließt, Nachteile. Beim E-Voting beginnt die Problematik in der Wahlmaschine: Sie gleicht einer Blackbox, von der niemand so genau weiß, was sie tut oder ob sie sogar fehlerhaft ist, ohne dass dies bemerkt wird. Der Nachweis von Manipulation kann somit nicht gewährleistet werden. Darüber hinaus setzen die Hersteller von E-Voting-Systemen ihre eigene Software ein, die nicht offen gelegt wird. So ist es für den Wähler nicht möglich festzustellen, ob seine Stimme so verarbeitet und weitergegeben wird, wie er sie abgegeben hat. Außerdem haben Wahlkommission und Wahlbeobachter so keinen Überblick mehr über die Stimmauszählung. Und wenn sich der Wähler nun einen Beleg ausdrucken lassen könnte, auf dem steht, was er gewählt hat? Geheime Wahl adé! Transparenz und Wahlgeheimnis sind somit nicht mehr gewährleistet, die Legitimität der Wahl ist in Frage gestellt. Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so, das den Einsatz von Wahlcomputern für verfassungswidrig erklärt hat. Ein weiteres Problem ist das der Wahlbeteiligung. Testläufe in England und Schweden haben ergeben, dass die Wahlbeteiligung sich durch elektronische Wahlen nicht erhöhen lässt. Politisches Interesse kann nicht einfach dadurch geweckt werden, dass man die Art der Stimmabgabe verändert. Vielmehr muss sich die politische Kultur ändern, wenn man politisches Interesse steigern und Politikverdrossenheit verringern will. Ein Mehrwert ergibt sich für den Wähler durch eine andere Art der Stimmabgabe also noch lange nicht.

Traurig aber wahr: Um das I-Voting steht es noch viel schlimmer! Wahl im Pyjama hin oder her, die digitale Stimmabgabe muss durch die Telefonleitung verschickt werden. Hier bietet sich eine extrem breite Angriffsfläche für Hacker-Angriffe, Phishing, Viren, Trojaner oder gar Denial-of-Service-Attacken, bei denen die Server der Internetanbieter durch eine sehr hohe Zahl an Aufrufen überlastet und lahmgelegt werden. Letztere waren im Dezember 2010 als Reaktion auf die Wikileaks-Sperrung ein großes Problem. Master Card, Visa, Paypal und Amazon wurden bereits Opfer dieser Angriffe und ihre Seiten temporär komplett lahmgelegt. Was kann man dagegen tun? Beim heutigen Stand der Technik nichts. Darüber hinaus würde sich bei Wahlen am heimischen Computer ein neues Problem einschleichen, welches zunächst wie eine nette Beschäftigung für die ganze Familie klingt: Family Voting. Was tun, wenn sich die ganze Familie am Wahlsonntag zum Wählen vor dem Rechner einfindet? Möglicherweise wird dann eher das gewählt, was Papi will.

Kommen wir kurz zurück zum Anfangsbeispiel. Beim Onlinebanking werden noch viel sensiblere Daten übertragen, könnte man meinen. Das funktioniert doch auch. Ja, das stimmt. Der Unterschied zum I-Voting ist dabei allerdings frappierend. Beim Onlinebanking geht mit der Übertragung der Daten die Identifikation des Nutzers einher. Beim I-Voting würde dies dem geheimen und freien Wahlrecht entgegenstehen. Mit anderen Worten: Sicherheit nur gegen Authentifizierung und Nachvollziehbarkeit. Dass dies beim Onlinebanking vonnöten ist, leuchtet ein. An der Wahlurne wäre es allerdings undenkbar, immerhin werden Stimmzettel immer noch anonym abgegeben.

Die Durchführung elektronischer Wahlen steht also weiterhin vor großen Problemen. Nicht nur fehlendes Vertrauen und Akzeptanz sind dabei wichtige Faktoren, sondern auch mangelnde Transparenz und die Möglichkeit des Nachweises über Manipulationsfreiheit der Stimmabgabe. Die größte Schwierigkeit bei elektronischen Wahlen ist das Spannungsfeld zwischen Wahlgeheimnis und Kontrolle über die Abgabe der Stimme. Stillstand im Sinne der Art der Durchführung von Wahlen ist in diesem Falle also alles andere als Rückschritt. Stillstand ist hier vielmehr der Garant für den Schutz des demokratischen Prozesses. Außerdem hat die alt-analoge Weise ja auch etwas für sich: Die Diskussion mit Bekannten und Nachbarn im Wahllokal, Wählen gehen als demokratischer Ritus und nicht zu vergessen die Spannung am Wahlabend. Das ist mir wesentlich lieber, als alleine die Kanzlerin oder den Kanzler zu erklicken.

Niels Hauke

ist seit 2009 Student des Masterstudiengangs Politikmanagement an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen. Er ist Autor des Buches „Lobbyismus als rationale Tauschhandlung? Handlungstheoretische Überlegungen zum Lobbyismus“. Praktische Erfahrungen sammelte er bei Praktika im Deutschen Bundestag und im Wissenschaftsministerium des Landes NRW.