Recht und Gerechtigkeit – die offene Flanke der Share Economy

Die Idee des Teilens als gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen, Gütern und Dienstleistungen ist so alt wie die Menschheit. Lange schon wird vermietet, verpachtet oder geleast. Die Share Economy (auch Sharing Economy) ist hingegen ein neueres Phänomen, das sich durch die Digitalisierung und das Web 2.0 flächendeckend verbreiten konnte. Ihre innovativen Geschäftsideen wurden in den vergangenen Jahren zunehmend nachgefragt. Dabei waren es vor allem zwei Unternehmen, die einen rasanten Aufstieg vorzuweisen haben: Der Fahrdienstleister Uber und der Wohnraumvermittler Airbnb.

Die Besonderheit, dass Uber kein einziges Auto unterhält und Airbnb keine eigene Wohnung besitzt, sind dem Prinzip nutzen statt besitzen geschuldet: Zum Zwecke, Dienstleistungen und Güter miteinander zu teilen, werden Kontakte zwischen sogenannten Peers – also den AnbieterInnen und KonsumentInnen – über Online-Plattformen virtuell vermittelt. Um an den Vermittlungsleistungen verdienen zu können, bieten Unternehmen wie Uber und Airbnb den Peers die Möglichkeit, Bewertungssysteme und Erfahrungsberichte zu nutzen. Denn Vertrauen ist in der Share Economy eine entscheidende Währung, damit die Parteien miteinander teilen. KonsumentInnen bewerten dazu die Qualität und Zuverlässigkeit der LeistungserbringerInnen und vice versa beurteilen diese die KonsumentInnen.

Neben Uber und Airbnb existieren viele weitere Plattformen

Neben den beiden genannten Unternehmen, die in den Sektoren Mobilität und Wohnraumvermittlung namhaft sind, existieren mittlerweile unübersichtlich viele weitere Plattformen in diversen Sektoren der Share Economy (darunter Foodsharing, Kleidertausch, Office Sharing, Spieletausch, Werkzeuge und Alltagsgegenstände sowie Haushaltswaren u.a.m.). Unter ihnen sind viele, aber nicht alle Plattformen profitorientiert organisiert. Einige PlattformbetreiberInnen agieren nicht-kommerziell und bieten den Peers einen kostenlosen Ort zum Tauschen und Teilen ihrer Güter und Dienstleistungen an.

So ist der ökonomische Vorteil in der Share Economy nur ein Motiv von mehreren gleichwertigen, das erklärt, warum Menschen digital vermittelte Tauschprozesse vollziehen: Erstens bewirken sie Wertschöpfung für die Plattformbetreiber, zweitens können die AnbieterInnen der Dienstleistungen und Güter Geld verdienen, drittens sparen NutzerInnen Kosten ein (weil gebrauchte Gegenstände in aller Regel günstiger sind als neue oder private Fahrdienste günstiger befördern als Taxis), viertens werden ungenutzte Ressourcen besser ausgelastet und Überproduktionen bzw. unnötige Neuproduktionen vermieden. Schließlich findet über die Vermittlung von Dienstleistungen und Gütern fünftens ein persönlicher Kontakt zwischen AnbieterInnen und KonsumentInnen statt. Zwischenmenschliche bzw. soziale Kontakte, Ressourcenschonung im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit und ein ökonomischer Nutzen für die Akteure bilden damit eine Triangel der Share Economy-Motive.

So vielversprechend die Idee der Ökonomie des Teilens theoretisch klingt und so gut sie auch teilweise in der Praxis schon seit mehreren Jahren funktioniert, so deutlich treten ihre Kehrseiten hervor. Diese sollen im Folgenden aus sozialwissenschaftlicher Perspektive und in Bezug auf grundlegende Fragen von Recht und Gerechtigkeit kurz allgemein bzw. konkret am Beispiel der beiden großen Unternehmen Uber und Airbnb skizziert und diskutiert werden.

Share Economy: Wer gewinnt, wer verliert?

Es lässt sich dazu erstens fragen, wer GewinnerInnen und VerliererInnen der Share Economy sind. Für die Beispiele von Uber und Airbnb gilt, dass sie einen Informations-Vorsprung gegenüber ihren AnbieterInnen und KonsumentInnen haben, den sie zum eigenen Vorteil nutzen können. Dieser Vorteil basiert vor allem darauf, dass die Algorithmen der Plattform von den Vermittlungsunternehmen bestimmt werden und für andere nicht transparent sind. Rechtlich ist dies nicht zwingend zu beanstanden, wenn PlattformbetreiberInnen innerhalb der Europäischen Union DSGVO-konform agieren. Aus der Perspektive der Gerechtigkeit lässt sich jedoch hinterfragen, ob Informationsasymmetrien unter MarktteilnehmerInnen gerecht sein können und ob nicht alle dieselben Bedingungen zur Beteiligung an Tauschprozessen haben sollten. Dies gilt zwar genauso auch für normale Märkte, dort betrifft es aber in aller Regel eine der beiden Seiten, die miteinander das Tauschgeschäft abschließen. Hier sind PlattformbetreiberInnen mit dem Informationsvorsprung hingegen eine dritte Partei, die nicht direkt an der Leistungserbringung (Güter- oder Dienstleistungstausch) beteiligt ist. Wenn überdies technische Voraussetzungen, wie ein digitaler Zugang zur Plattform über das Internet erforderlich sind, werden Ausschlüsse produziert, die politisch zu diskutieren und ggf. zu korrigieren sind.

Ein Weiteres lässt sich empirisch beobachten: PlattformbetreiberInnen übernehmen in der Regel keinerlei Haftung für die Qualität der Güter und Dienstleistungen, die über sie vermittelt werden. Dies ist verbraucherschutzrechtlich zu hinterfragen. Problematisch ist zudem, dass sie lange Zeit nicht bereit waren, Verantwortung für die Bedingungen, unter denen Dienstleistungen erbracht wurden, zu tragen. Und tatsächlich haben hochverschuldete Uber-FahrerInnen (wie in Großbritannien, den USA oder Indien) und auch die Wohnbevölkerung in Städten, wo der historische Kern von Airbnb-Angeboten überschwemmt wurde (wie in nahezu allen europäischen Haupt- und Großstädten), längst zum Widerstand aufgerufen. Die Rechtsetzung in den beiden betroffenen Sektoren wird mittlerweile verändert und angepasst.

Wie steht es um die ökologische Nachhaltigkeit?

Es ist zweitens zu hinterfragen, wie es um Anspruch und Wirklichkeit der Share Economy in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit bestellt ist. Zweifelsohne kann eine bessere Ressourcennutzung und die Vermeidung von Überproduktion umweltschonende Effekte bewirken. Allerdings tritt vor allem in den Sektoren Mobilität und Wohnen ein sogenannter Rebound-Effekt auf: Produkte und Dienstleistungen werden nicht weniger oder effizienter genutzt, sondern umgekehrt aufgrund kostengünstiger oder bequemer Gelegenheiten oftmals sogar häufiger nachgefragt. Die Angebote erzeugen somit einen umgekehrten, manchmal sogar umweltschädigenden Effekt, der ohne die Ökonomie des Teilens nicht aufgetreten wäre. Denn durch kostengünstige private Wohnraumangebote – vermittelt über Airbnb – nimmt Tourismus zu und es werden insgesamt mehr (Flug-)Reisen in beliebte Städte unternommen. Auch die schnell gebuchte Uber-Fahrt kann den Fußweg oder eine Fahrt mit ÖPNV ersetzen, wenn sie sich als eine günstige zusätzliche Alternative anbietet. Rebound-Effekte der Share Economy werden daher über kurz oder lang wohl auf der politischen Agenda landen.

Drittens gibt ein einfaches Gedankenexperiment Grund zur Annahme, dass der Akt des Tauschens und Teilens deterministisch ist, wenn unvorhersehbare Umstände eintreten: Ein Motiv, sich an der Share Economy zu beteiligen, ist die als persönlichen Benefit empfundene soziale Interaktion zwischen fremden Menschen. Jedoch werden die aktuellen pandemischen Bedingungen der Corona-Krise die Welt und unser gesellschaftliches Zusammenleben aller Voraussicht nach stark verändern und sprechen damit eher gegen ein fortwährendes unbefangenes Miteinander. Schon heute belegen Umfragen zur Share Economy in Deutschland, dass die meisten Menschen nur bestimmte Güter und diese zudem am ehesten mit Bekannten oder Verwandten teilen oder tauschen würden. Solche Einstellungen könnten sich durch COVID-19 nun noch verstärken. Unklar ist zudem, welche Maßnahmen der Gesetzgeber zur Eindämmung der Pandemie noch beschließen wird und wie sich entsprechende Regeln auf persönliche Kontakte zwischen fremden Menschen auswirken werden.

Vor allem rechtlich weist die Share Economy eine offene Flanke auf

Insgesamt ist damit nicht auszuschließen, dass die Beteiligung an der Share Economy aufgrund jüngster Entwicklungen zurückgehen wird. Zu den beiden dauernden Kritikpunkten – die gesetzgeberisch schon teilweise angegangen worden sind – tritt mit der Corona-Pandemie ein neues Ad-hoc-Problem hinzu, dessen Auswirkungen heute kaum abschätzbar sind.

Die hier kritisch zugespitzte Diskussion zentraler Probleme der Share Economy zeigt, dass die Idee einer nachhaltigen Wirtschaft vor allem rechtlich noch eine offene Flanke aufweist: Neues oder bestehendes Recht (z.B. VerbraucherInnenschutzrecht) ist – nicht nur mit Blick auf die beiden Marktriesen – zu setzen oder zu konkretisieren. Denn in jüngster Vergangenheit sind viele innovative Ideen entstanden und diverse Non-profit-Initiativen hinzugekommen, die einen alternativen oder ergänzenden Wert zum kapitalistischen System beanspruchen, dazu allerdings stets auch rechtlicher Klarheit bedürfen.

 

Über die Autorin

Dr. Julia Schwanholz ist seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Göttingen. Im Jahr 2014 erfolgte ihre Promotion zur Dr. disc. pol. mit einer vergleichenden Arbeit über Parlamentsmacht in der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise. Aktuellere Forschungsbeiträge behandeln Fragen der Digitalen Transformation und Public Policy (insbesondere die politische Regulierung von Plattformökonomien).