Baden-Württemberg: Land der Dichterinnen und Lenkerinnen

Baden-Württemberg geht es gut. Das Auto hat das Land reich gemacht und ist doch so umstritten wie nie. Die Autoindustrie im Südwesten kränkelt und die Luft in den Städten ist auch nicht die beste. Wie steht es also um das Land, in dem die Menschen von sich selbst behaupten: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“?

Sie sind fleißig, reinlich, clever und niemand versteht sie – die Liste der Klischees über Baden-Württembergerinnen ist lang. Und wer einmal da war, weiß: Die meisten davon stimmen. Weltbewegende Erfindungen wie das Auto und weniger weltbewegende Ideen wie die Kehrwoche gehen auf das Konto von Baden-Würrtembergerinnen. Stolz sind die Menschen im Südwesten auch auf Literaten wie Schiller, Hesse oder Hölderlin. Das Selbstwertgefühl der Menschen zwischen Konstanz und Mannheim erreicht seinen Höhepunkt letztlich in dem Spruch: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ Da stellt sich einem aber doch die Frage: Stimmt das wirklich?

In der Tat: Baden-Württemberg geht es gut. Zumindest zeigen das die wirtschaftlichen Zahlen. Was Arbeitslosigkeit, Armutsgefährdung oder Jugendarbeitslosigkeit angeht, weist Baden-Württemberg zusammen mit Bayern die niedrigsten Werte im Vergleich der Bundesländer auf. Im Bildungsmonitor erreicht das Land mit Platz sechs im bundesweiten Vergleich einen Platz im vorderen Mittelfeld. Außerdem ist Landesvater Winfried Kretschmann (Grüne) der beliebteste unter den deutschen Ministerpräsidentinnen. Seine Grünen erreichten in Umfragen zuletzt Rekordwerte von 38 Prozent.

Die so heilige Autoindustrie kränkelt

Doch eine andere Entwicklung bereitet den Menschen im Südwesten derzeit Kopfzerbrechen: Die so heilige Autoindustrie kränkelt. Das Auto hat Baden-Württemberg reich gemacht und ist so umstritten wie nie. Seine Zukunft ist ungewiss. Aber klar ist auch: Wenn die Autobauerinnen husten, hat das ganze Bundesland einen Schnupfen. Insgesamt sind nämlich rund 500.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt mit der Autoindustrie verbunden. Das sind knapp elf Prozent der gesamten Arbeitsplätze – die obendrein meist gut bezahlt sind.

Doch zum ersten Mal seit sechs Jahren ist die Wirtschaft Baden-Württembergs in einem Quartal verglichen mit dem Vorjahr geschrumpft. Der Autozulieferer Bosch will mehr als 2500 Arbeitsplätze in Baden-Württemberg abbauen. In anderen Betrieben ist Kurzarbeit nicht mehr auszuschließen. Und Bewerberinnen mit Hochschulabschlüssen im Ingenieurwesen berichten immer häufiger von Schwierigkeiten bei der Jobsuche.

Laut der Baden-Württembergischen Wirtschaftsministerin sind an dem Abschwung vor allem weltwirtschaftliche Unsicherheiten schuld. Doch auch der Umstieg in Richtung Elektromobilität macht der Autoindustrie zu schaffen. In Sachen Elektromobilität und autonomes Fahren sind ausländische Hersteller dabei, den deutschen Autobauerinnen den Rang abzulaufen. Denn in Kalifornien oder China sind Konzerne entstanden, die das Auto neu denken und den deutschen – und damit auch den baden-württembergischen Herstellerinnen voraus sind. So gilt beispielsweise die Google-Tochter Waymo als weltweit führend im Bereich des autonomen Fahrens. Wer an ein Elektroauto denkt, hat schnell das Bild eines Tesla im Kopf. Baden-Württemberg steht vor einem Strukturwandel, dessen Ausmaße nicht zu unterschätzen sind.

Dicke Luft in Baden-Württembergs Großstädten

Neben der hüstelnden und schniefenden Autoindustrie hadern die Baden-Württembergerinnen aber noch mit einem anderen Problem: In dreizehn Städten in Baden-Württemberg wurde 2018 der Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm überschritten. In keiner anderen Stadt in Deutschland ist die Luft so belastet wie in Stuttgart. Auch Städte wie Reutlingen, Heilbronn, Freiburg, Tübingen und Mannheim überschreiten den EU-Grenzwert. Fahrverbote drohen auch dort. In der Landeshauptstadt ist es bereits soweit: ältere Diesel dürfen nicht mehr in die Stadt fahren. Gegen das Fahrverbot gingen Anfang 2019 prompt Bürgerinnen in gelben Westen auf die Straße.

Das „heilige Bleche“ wird mehr und mehr zum Zankapfel. Auf der einen Seite demonstrieren also Schülerinnen bei Fridays for Future für eine Politik, die sich dem Klimawandel entgegenstellt, während auf der Gegenseite Gelbwesten ihren alten Diesel verteidigen.

Im Autoland Baden-Württemberg läuft also einiges gut. Doch speziell wenn es um das Auto geht, dürften sich bei so mancher Baden-Württembergerin die Sorgenfalten auf der Stirn häufen. Entscheidend wird sein, ob die Unternehmen der Autoindustrie den Technologiewandel meistern können. Darüber hinaus braucht das Land aber Konzepte für die Mobilität der Zukunft – auch abseits des Autos. Warum sollen die Flugtaxis, Wasserstoffbusse und Elektroautos der Zukunft nicht aus Baden-Württemberg kommen? Und warum soll aus dem Autoland nicht das Land der Dichterinnen und Stramplerinnen werden, indem Innenstädte fahrradfreundlich umgebaut werden? Schließlich sollte es doch Ausdruck der schwäbischen Cleverness sein, mutig und engagiert an neuen Ideen zu feilen und sich nicht an Technologien der Vergangenheit festzuklammern. Schließlich können die Baden-Württemberginnen doch alles. Außer Hochdeutsch.

Tim Frehler studierte im Bachelor Staatswissenschaften in Passau und Tartu und ist seit 2018 Masterstudent an der NRW School of Governance. Praktische Erfahrungen sammelte er unter anderem im Journalismus, sowie in der Öffentlichkeitsarbeit eines Rundfunksenders.