Der Föderalismus als Chance im Kampf gegen COVID-19

In der medialen Berichterstattung rund um das neuartige Coronavirus kommt ein Streitthema mit zuverlässiger Sicherheit beinahe täglich auf: Der Föderalismus. Dies ist nichts Neues. Bei Diskussionen um Bildungspolitik ist die Föderalismuskritik ein Dauerbrenner. Derzeit nehmen die Auseinandersetzung jedoch ganz neue kommunikative Dimensionen an. Wenn Markus Söder im Detail andere Maßnahmen trifft als Armin Laschet, wird dies medial immer auch mit Blick auf eine mögliche Kanzlerkandidatur bewertet. Schnell steht der Vorwurf des Profilierungsversuchs im Raum. Dies mag vielleicht auch gerechtfertigt sein. Allerdings könnten die unterschiedlichen Maßnahmen auch durch die ganz unterschiedlichen Realitäten in den Bundesländern erklärt werden.

Die Schutzmaßnahmen als „Flickenteppich“ und “Kommunikationswirrwarr”

Häufig wird abwertend von einem „Flickenteppich“ gesprochen, wenn es um unterschiedliche Regelungen von Bundesländern geht. So hatte etwa erst kürzlich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) davor gewarnt, zu viele unterschiedliche Regeln zu treffen und sich für ein gemeinsames Vorgehen zwischen Bund und Ländern ausgesprochen. Auch unsere Bundeskanzlerin soll sich bei der CDU-Präsidiumssitzung sehr mahnend zu dem Thema geäußert haben. Markus Lanz sprach in der Sendung vom 21.04.2020 mit Blick auf die Einführung der Maskenpflicht von einem “Kommunikationswirrwarr”. Niedersächsischer Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der zu Gast war, nahm die Position auf und sprach sich ebenfalls dafür aus, dass es wesentlich besser sei, „wenn der Staat, der Bund, die Länder geschlossen auftreten“. Doch ist das so? Ist eine Zentralisierung tatsächlich besser als dezentrales Steuern? Die kurze Antwort: Nein. Denn immerhin herrschen zurzeit ganz andere Ausgangssituationen in den Bundesländern. Maßnahmen, die man etwa in Bayern treffen würde, würden in Mecklenburg-Vorpommern komplett über das Ziel hinausschießen.

Große Unterschiede zwischen den Bundesländern

Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), betont regelmäßig in den Pressekonferenzen, dass es bedeutende regionale Unterschiede in Deutschland gibt. Dies gilt sowohl für die Reproduktionszahl als auch für die Inzidenz. Letztere wurde mittels Daten des RKI in der ersten Karte für jedes Bundesland dargestellt. Es handelt sich dabei um Daten, die am 28.04.2020 zuletzt aktualisiert worden sind. Es zeigen sich sehr starke Unterschiede. Bayern hat die höchste Inzidenz. Hier sind es derzeit 319,9 Fälle je 100.000 Einwohner. Baden-Württemberg hat mit 283,1 Fällen je 100.000 Einwohner die zweithöchste Inzidenz. Im Saarland (253,8), in Hamburg (245,8) und in Nordrhein-Westfalen (180,8) sind die Inzidenzen im innerdeutschen Vergleich ebenfalls hoch. Am geringsten ist die Inzidenz in Mecklenburg-Vorpommern. Hier sind lediglich 42,7 Fälle je 100.000 Einwohner gemeldet. Ebenfalls gering sind die Inzidenzen in Sachsen-Anhalt (69,1),  Schleswig-Holstein (92,5), Thüringen (101,3) und Brandenburg (110,2). Die Tatsache, dass Bayern eine mehr als siebenmal so hohe Inzidenz hat wie Mecklenburg-Vorpommern, wirft die Frage auf, warum in den beiden Bundesländern dieselben Regeln getroffen werden sollten. Die Argumentation, die auf diese Frage folgt, ist häufig, dass man die Bevölkerung nicht mit unterschiedlichen Regeln verwirren will. Ich würde hier aber argumentieren, dass ein viel größerer Verwirrung stiftender Effekt entstehen würde, wenn man bei so unterschiedlichen Gegebenheiten dieselben Maßnahmen treffen würde.

Auch innerhalb von Bundesländern gibt es Unterschiede

Doch nicht nur zwischen den Bundesländern zeigen sich Unterschiede. Auch innerhalb von Bundesländern auf der Kreisebene zeigt sich ein teilweise heterogenes Muster. In der folgenden Karte sind erneut die Inzidenzen dargestellt, diesmal allerdings auf Ebene der Kreise. Die Daten stammen ebenfalls vom RKI und die letzte Aktualisierung war ebenfalls am 28.04.2020. In Bayern, Baden-Württemberg, dem Saarland und auch Nordrhein-Westfalen gibt es beinahe flächendeckend vergleichsweise hohe Inzidenzen. Allerdings sind auch hier Unterschiede auszumachen. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt es beinahe flächendeckend kaum Fälle je 100.000 Einwohner. Interessant ist, dass in Thüringen und Hessen an den südlichen Landesgrenzen, also den Grenzregionen zu Bayern und Baden-Württemberg, nur geringfügig erhöhte Inzidenzen festzustellen sind. Für Niedersachsen gilt dies nicht. An der Grenze zu Nordrhein-Westfahlen treten mehr Fälle je 100.000 Einwohner auf als im Rest des Bundeslandes. Auch in den südlich gelegenen Kreisen in Schleswig-Holstein, die an Hamburg grenzen, sind die Inzidenzen höher als in den nördlichen Kreisen des Bundeslandes. Die fünf Kreise mit den meisten Fällen je 100.000 Einwohnern sind übrigens allesamt in Bayern zu finden. Im Landkreis Tirschenreuth ist die Inzidenz mit derzeit 1532,3 am höchsten. In Absoluten Zahlen sind dies 1111 Fälle. Mit 111 Toten ist hier auch der Fall-Verstorbenen-Anteil mit ungefähr 10 % besonders hoch. Kreis Heinsberg aus Nordrhein-Westfalen, über den viel berichtet wurde, hat mit 686,5 Fällen je 100.000 Einwohnern zurzeit die sechsthöchste Inzidenz.

Ungewisse Zukunft

Es sind also sehr große Unterschiede der Inzidenzen zwischen den Bundesländern zu finden. Auch innerhalb der Bundesländer gibt es teilweise stärker betroffene Regionen. Dass zumindest auf Länderebene unterschiedliche Regelungen zur Eindämmung von COVID-19 getroffen werden, scheint mehr als naheliegend. Auch politische Maßnahmen auf noch kleinerer räumlicher Ebene zu treffen, ist nicht allzu abwegig, auch wenn dann das von Markus Lanz beschworene „Kommunikationswirrwarr“ noch größer wird. Abschließend sei jedoch darauf hingewiesen, dass diese großen Unterschiede mitnichten bestehen bleiben müssen. Christian Drosten, welcher der zurzeit wohl gefragteste Virologe Deutschlands ist, sagte bei Maybrit Illner in der Sendung vom 16.04.2020 „man wird sehen, dass sich die Bundesländer dann auch angleichen“. Dies bleibt abzuwarten. Bisweilen bestehen jedoch große regionale Unterschiede.

Ein Beitrag von Florian Gerls

Florian Gerls hat Politikwissenschaft in Duisburg studiert und absolviert derzeit einen Master in Sozialwissenschaften im Schwerpunkt Methoden der Sozialforschung in Bochum. Er war am Lehrstuhl für empirische Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und in der Marktforschung tätig. Außerdem arbeitete er bei der Statistikstelle Gelsenkirchen und beim statistischen Landesamt Nordrhein-Westfalens.