Quo vadis, SPD? Wie das Beispiel Duisburg das Dilemma der Partei aufzeigt

Die Sozialdemokratie steht vor wegweisenden Entscheidungen – in Deutschland und in Europa. Vor allem den deutschen SozialdemokratInnen stellt sich die Frage: Wohin soll sich die Partei thematisch bewegen? Eine Frage, die das Potenzial hat, die Partei inhaltlich zu zerreißen.

Die SPD steht vor einem folgenschweren Dilemma: Soll sie sich vermehrt um Klima- und Umweltfragen kümmern und damit riskieren, ältere, konservativere StammwählerInnen zu verlieren? Oder liegt das Heil der SPD nicht viel mehr im Einsatz für eine stabile wirtschaftliche Lage? Ob und wie sich die Partei in dieser Frage entscheidet, dürfte maßgeblichen Einfluss auf ihre Zukunft haben. Quo Vadis, SPD also?

Eine Studie von Duisburger Studierenden hält das Dilemma der Partei in Zahlen fest. Im Anschluss an die Europawahl 2019 haben sie unter der Leitung von Dr. Oliver Schwarz und Dr. Toralf Stark das Duisburger Wahlergebnis analysiert. Für die Richtungsentscheidung der SPD liefern sie interessante Erkenntnisse.

Vom 23. bis zum 26. Mai 2019 fand in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union die neunte Europawahl statt. Auch in Duisburg hatten insgesamt 325.373 Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, ihre Stimme für die Wahl zum Europäischen Parlament abzugeben.

Wie hat Duisburg bei der Europawahl 2019 abgestimmt?

Die Ergebnisse der Europawahl in Duisburg 2014 und 2019.
2014 und 2019 im Vergleich. So haben die DuisburgerInnen bei den vergangenen Europawahlen abgestimmt.

Als am 26. Mai die ersten Prognosen über das vorläufige Ergebnis zu sehen waren, wurde schnell ein Trend deutlich: Die etablierten Volksparteien von CDU und SPD werden deutliche Verluste hinnehmen müssen. Bisher galt Duisburg als sicheres Pflaster für die Sozialdemokratie, doch wechselten Wählerinnen und Wähler nicht eher von der SPD zur AfD, sondern zu den Grünen.

Die SPD erreichte in Duisburg zwar den ersten Platz, allerdings erhielt sie mit 24, 5 Prozent nur noch knapp ein Viertel der Stimmen. Verglichen mit der Europawahl fünf Jahre zuvor, büßte sie rund 16 Prozentpunkte ein: 2014 wählten noch 40,8 Prozent der DuisburgerInnen die SPD.

Trotz dieser herben Verluste für die Duisburger Sozialdemokratie und dem Erstarken der AfD bleibt Duisburg eine Stadt, die tendenziell links der Mitte wählt: SPD, Grüne und Linke erhielten 2014 53 Prozent der Stimmen, 2019 waren es immerhin noch 50 Prozent.

Grüne und AfD steigerten ihre Ergebnisse 

Dabei wird die Mehrheit der linken Parteien in Duisburg immer noch von den SozialdemokratInnen getragen – jedoch deutlich schwächer als früher. Ein Grund hierfür ist das starke Ergebnis der Grünen. Die Ökopartei schaffte es 2019, ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 2014 mehr als zu verdoppeln. Weil sie ihr Ergebnis von 7,9 auf 19,5 Prozent steigerten, liegen zwischen Grünen und SPD 2019 nur noch knapp 5 Prozent. Und auch die AfD konnte ihr Ergebnis von 7,2 Prozent um 4,8 Prozentpunkte auf 12 Prozent ausbauen. Die Linkspartei verlor in Duisburg leicht von 6,5 Prozent um 0,7 Prozentpunkte auf 5,7 Prozent.

So teilten sich die Parteien des linken Blocks 2014 die Stimmanteile auf

Innerhalb des Blocks der linken Parteien entfielen bei der Europawahl 2014 in Duisburg noch 74 Prozent der Stimmen auf die SPD.

Die deutliche Verschiebung wird spätestens dann sichtbar, wenn man die Veränderung der Anteile der Parteien innerhalb des „Links der Mitte“ Blocks betrachtet. Wurde dieser Block im Jahr 2014 noch zu 74 Prozent von der SPD getragen, war dies bei der Europawahl nicht einmal mehr zur Hälfte (49 Prozent) der Fall. Dafür konnten die Grünen deutlich aufholen. Während der Anteil der Grünen am „Links der Mitte“ Block 2014 nur bei 14 Prozent lag, wuchs er 2019 um ein Viertel auf 39 Prozent an.

Die Stimmanteile der Parteien im linken Block 2019

Innerhalb des Blocks der linken Parteien entfielen bei der Europawahl 2019 in Duisburg dann nur noch 49 Prozent der Stimmen auf die SPD.

Betrachtet man nun die enormen Verschiebungen innerhalb der linken Parteien in Duisburg, stellen sich folgende Fragen umso dringender: Welche Themen sind für die Wählerinnen und Wähler wichtig? Wo liegen die Themenschwerpunkte derjenigen, die die Grünen oder die SPD wählen?

Dafür wurden die DuisburgerInnen in zwei unterschiedlichen Fragen nach ihrem wichtigsten und ihrem zweitwichtigsten politischen Thema gefragt. Das Ergebnis verdeutlicht das Dilemma der Partei: Denn das wichtigste Thema für die Wählerinnen und Wähler der SPD ist mit 22,9 Prozent das Thema „Wirtschaftliche Lage“. Umwelt- und Klimafragen folgen als zweitwichtigstes Thema mit 22,1 Prozent. Das zeigt, welchen Spagat die SPD in Duisburg bei der zukünftigen Themensetzung beschreiten muss.

Quo Vadis, SPD?

Denn die thematische Spaltung verläuft quer durch die gesamte WählerInnenschaft der SPD in Duisburg. Die SozialdemokratInnen müssen es schaffen, diese so zu bedienen, dass keines der Lager wegbricht und sich verärgert einer anderen Partei zuwendet – oder  womöglich gar nicht mehr wählen geht.

Wie kann das gelingen? Die SPD sollte inhaltlich zwei Wege gehen: Zum einen ist es erforderlich, Wählerinnen und Wähler von den Grünen (zurück) zu gewinnen, indem sie grüne Themen wie Klima- und Umweltfragen deutlicher in den Fokus setzt und probiert, diese glaubhaft zu bespielen. Zum anderen muss dies mit einem Kernthema der Sozialdemokratie verbunden werden, der Wirtschaftspolitik. Nur wenn beide Themen glaubwürdig unter einen Hut gebracht werden können, kann dieser Spagat gelingen und die SPD als Gewinner aus dem Dilemma hervorgehen. Wenn dies gelingt, kann die SPD zurück zu einer thematischen Volkspartei mit adäquaten Wahlergebnissen werden.

Frederik Paul studiert im Bachelor Politikwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Praktische Erfahrungen hat er durch die Arbeit im “politisch-ehrenamtlichen Bereich” und durch zahlreiche Praktika erworben. Schwerpunkte seiner Arbeit sind: Kommunal- und Landtagspolitik, Verwaltungswissenschaften und Föderalismus.