Soziale Spaltung im Ruhrgebiet

Zweifelsohne hat das Ruhrgebiet einen eher negativen Ruf in der Bevölkerung. Vor allem werden mit dem Ballungsraum Armut, eine hohe Arbeitslosigkeit und ein hoher Anteil an Deutschen mit Migrationshintergrund und Ausländern verbunden. Dass dieses Bild jedoch nicht der Realität entspricht, zeigen einige Studien. Es gibt zwar durchaus viele Bezirke, in denen starke soziale Schieflagen vorherrschen, jedoch gibt es auch zahlreiche stark prosperierende Viertel. Zwischen diesen zwei Extremen gibt es häufig eine starke räumliche Trennung.

Sozialäquator des Ruhrgebiets

Die Autobahn A40 wird auch als Sozialäquator bezeichnet. Sie trennt in vielen Städten im Ruhrgebiet den reichen Süden vom armen Norden. Forscher der Ruhr-Universität Bochum konnten zeigen, dass gerade in den ehemaligen Arbeitervierteln heute besonders viele Arbeitslose und Menschen mit Migrationshintergrund leben. Außerdem wurde gezeigt, dass Kinder aus sozial schwächeren Vierteln, geringere Chancen auf höhere Bildung haben. Bisherige Untersuchungen legen nahe, dass man Indikatoren zur Armutsmessung also nicht auf Kommunen im Ganzen anwenden sollte, sondern eine kleinräumigere Betrachtung notwendig ist. Dadurch können ungleiche Lebensverhältnisse, die durch die räumliche Situation hervorgerufen werden, identifiziert werden, um ungleichen Bildungschancen von Kindern entgegenzuwirken.

Die auch im Ruhrgebiet vorzufindende ungleiche Verteilung von Bevölkerungsgruppen wird als Segregation bezeichnet. Soziale Segregation beschreibt die zum Beispiel ungleiche Verteilung der Bevölkerung nach Einkommen. Ursachen hierfür können die Höhe der Mieten oder politische Maßnahmen wie der soziale Wohnungsbau sein. Ethnische Segregation beschreibt die Ungleichverteilung nach ethnischer Herkunft. Bereits in den 1920er Jahren wurde beispielsweise in Chicago beobachtet, dass sich Migranten nicht gleichmäßig über die Stadt verteilen, sondern konzentriert in bestimmten Bezirken leben.

Segregation in Gelsenkirchen

Innerhalb des Ruhrgebiets hat gerade Gelsenkirchen einen sehr schlechten Ruf. Der Sozialbericht NRW 2016 zeigt, dass Gelsenkirchen die geringste Beschäftigungsquote, die niedrigste Lebenserwartung bei Neugeborenen und das geringste zur Verfügung stehende Einkommen pro Kopf hat. Dem Statistischen Jahrbuch Nordrhein-Westfalen von 2018 ist zudem zu entnehmen, dass der Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung mit 19,1 % besonders hoch ist. Ein besonderer Blick auf einzelne Stadtteile Gelsenkirchens scheint deshalb wichtig.

Während in Essen, Dortmund und Duisburg in den nördlichen Stadtteilen Problemlagen vorzufinden sind, ist dies in Gelsenkirchen andersherum. Dies wird in den beiden Karten verdeutlicht. In der linken Karte sind die ELB-Quoten in den Stadtteilen Gelsenkirchens dargestellt. Hierfür wurde die Anzahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach dem SGB II (Sozialgesetzbuch) durch die Bevölkerungszahl der 15- bis unter 65-Jährigen geteilt und mit 100 multipliziert. Die ELB-Quoten werden als Armutsindikator verwendet. In den südlichen Stadtteilen sind die ELB-Quoten bedeutend höher als in den nördlichen Vierteln. Gerade in den zentralen südlichen Stadtteilen sind besonders viele Menschen von Armut bedroht. In dem Stadtteil Altstadt ist die Lage am schlimmsten. Hier haben über 35 % der erwerbsfähigen Personen zwischen 15 und 64 Jahren Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder weitere Leistungen des SGB II.

Bei den Anteilen an Nichtdeutschen in den Stadtteilen (rechte Karte) zeigt sich ein ähnliches geografisches Muster. Gerade in den südlichen Stadtteilen sind die Ausländeranteile besonders hoch. In Schalke-Nord, Altstadt und Neustadt beträgt der Anteil an Nichtdeutschen sogar über 35 %. In Schalke und Bulmke-Hüllen sind die Anteile ebenfalls sehr hoch. Auch in Rotthausen ist mehr als jede vierte Person nichtdeutsch. Im Norden haben fast alle Stadtteile Ausländeranteile von unter 15 %. Dies ist zumindest im innerstädtischen Vergleich gering. In dem Stadtteil Hassel jedoch, welcher ganz im Norden von Gelsenkirchen liegt, ist mehr als jede fünfte Person nichtdeutsch.

Weitere statistische Analysen belegen, was die Karten bereits vermuten ließen. Es gibt einen starken positiven Zusammenhang zwischen Ausländeranteil und Armutsrisiko. In den Stadtteilen, in denen das Armutsrisiko hoch ist, ist auch der Anteil an Nichtdeutschen im Schnitt besonders hoch. Das heißt, die soziale Segregation geht mit der ethnischen Segregation einher. Gerade in den Stadtteilen Altstadt, Neustadt, Schalke-Nord, Schalke und Bulmke-Hüllen treffen sehr hohe Anteile an Nichtdeutschen und sehr hohe ELB-Quoten zusammen.

Wann Segregation zum Problem wird

Soziale Segregation ist für sich genommen per se nicht schlecht. Gerade sehr reiche Menschen leben häufig segregiert unter sich. Auch im Ruhrgebiet gibt es hierfür zahlreiche Beispiele. Dies stört vermutlich niemanden. Auch alleine ethnische Segregation ist wenig problematisch. Düsseldorf ist zum Beispiel unter anderem dafür bekannt, dass viele Japaner segregiert unter sich leben. Dies sind häufig gut bezahlte Führungskräfte international tätiger Unternehmen. Das Zusammentreffen ethnischer- und sozialer Segregation in unteren Einkommensschichten hingegen ist problematisch. Kinder aus benachteiligen Vierteln haben es häufig schwerer.

In dem Projekt „Wege zur Metropole Ruhr“ der Ruhr-Universität Bochum konnte gezeigt werden, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Sozialraum einer Grundschule und den Übergangsquoten gibt. Bei Grundschulen in Vierteln, die sich im Zuge des Strukturwandels von Arbeitervierteln zu sozial benachteiligten Bezirken entwickelt haben, sind die Teilhabechancen von Kindern deutlich geringer als in konsolidierten bürgerlichen Stadtvierteln. Gerade bei den Übergangsquoten auf ein Gymnasium zeigen sich bedeutende Unterschiede. Diese fallen zum Nachteil von Kindern aus sozial benachteiligten Bezirken aus.

Wie gezeigt, gibt es in Gelsenkirchen fünf Stadtteile, in denen hohe Ausländerquoten und ein hohes Armutsrisiko zusammentreffen. Diese über Jahrzehnte gewachsenen Problemlagen lassen sich heute nur schwer beheben. Gerade die geringeren Bildungschancen für Kinder aus benachteiligten Quartieren scheinen die Situation zu verfestigen. Ohne einen Ausgleich, etwa in Form einer gezielten Bildungsoffensive, lässt sich wohl keine positive Perspektive formulieren.

Ein Beitrag von Florian Gerls

Florian Gerls hat Politikwissenschaft in Duisburg studiert und absolviert derzeit einen Master in Sozialwissenschaften im Schwerpunkt Methoden der Sozialforschung in Bochum. Er war am Lehrstuhl für empirische Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und in der Marktforschung tätig. Außerdem arbeitete er bei der Statistikstelle Gelsenkirchen und beim statistischen Landesamt Nordrhein-Westfalens.