Im Gespräch: Gregor Gysi über die Linke und das Parteienspektrum

Er gilt als versierter Redner und ist einer der prominentesten Politiker Deutschlands: Mit dem hammelsprung hat Gregor Gysi über die neue Rolle der Linkspartei und den Führungswechsel in der SPD gesprochen. Außerdem verrät er, was er sich für das Jahr 2020 wünscht. 

Herr Gysi, Sie haben in verschiedenen Interviews gesagt, dass die Linke keine Protestpartei mehr sei. Vielmehr brauche sie eine neue Identität. Wie kann die aussehen?

Gregor Gysi: Das Entscheidende ist, dass wir garantieren, dass in der Politik etwas passiert, das ohne Die Linke nicht passierte. Bodo Ramelow ist das gelungen, weil er verstanden hat, dass die Linke das Bündnis mit der Mitte benötigt. Das ist das eigentlich Neue. Und zwar, weil die Mitte sich darüber beschwert, dass sie ganz Deutschland zu bezahlen hat, während die wirklich Vermögenden, die großen Konzerne und Banken entlastet werden. Im Kern geht es also darum, ein Bündnis mit der Mitte, mit dem Mittelstand und den Menschen mit mittleren Einkommen zu suchen.

Was möchten Sie denn der Mitte und dem Mittelstand anbieten?

Gysi: Dass wir sie auf gar keinen Fall stärker belasten, sondern mit ihnen zusammen einen Weg finden, die Großen zu belasten, ohne über das Argument der Arbeitsplätze erpressbar zu werden. Das ist nur mit dem Mittelstand und im Bündnis mit anderen Staaten zu schaffen. Leider hat Olaf Scholz mit seinem Veto gerade verhindert, dass Konzerne und Banken Staat für Staat offenlegen müssen, welche Gewinne sie machen.

Das heißt, die Linke als Partei des Mittelstands?

Gysi: Die Linke muss Folgendes begreifen: Sie muss an der Seite der Flüchtlinge, der Hartz IV-Empfängerinnen und -Empfänger, der Arbeitslosen und vor allem der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen. Sie muss aber auch an der Seite der Angestellten und der Beamtinnen und Beamten stehen. Und sie muss an der Seite der kleinen Selbstständigen und des Mittelstandes stehen. Das ist ihre Breite. Erst dann hat sie die Chance, dass die wirklich Reichen, die großen Konzerne und Banken angemessen herangezogen werden. Und dafür könnte ich dem Mittelstand wiederum versprechen, dass wir ihn nicht zusätzlich belasten. Ich würde nicht versprechen, dass wir ihn entlasten, aber ich würde ihm versprechen, dass wir ihn nicht stärker belasten.

Mit den neuen Vorsitzenden orientiert sich die SPD weiter nach links. Sie das als Problem für die Linke oder eher als Chance?

Gysi: Meines Erachtens ist das eine Chance. Wenn sich die SPD wirklich weiter nach links orientiert, besteht die Möglichkeit, dass wir vielleicht wirklich einmal für eine Alternative streiten können und es bei der nächsten Wahl um die Frage geht: Erreichen SPD, Grüne und Linke eine Mehrheit? Aber Sie haben auch wieder recht: Wenn die SPD mehr nach links geht, wird es auch wieder enger hinsichtlich des Spielraums der Linken. Mir ist es aber wichtiger, reale Veränderungen in der Gesellschaft zu erreichen. Schwierig wird es aber mit Blick auf die Rüstungsausgaben. Gerade ist entschieden worden, dass Deutschland die gleichen Kosten für die NATO tragen soll wie die USA. Das hat es noch nie gegeben. Und das ist nicht nur von der Union entschieden worden, sondern auch von der SPD. Wenn die SPD dann noch wirklich unterstützen sollte, dass Deutschland zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Militär und Rüstung ausgibt, wird es extrem. Denn das bedeutete mehr als 75 Milliarden Euro Ausgaben für Militär und Rüstung statt der diesjährigen von 45 Milliarden Euro. Von einer größeren Steuerverschwendung habe ich noch nie gehört.

Nach all den politischen Ereignissen 2019: Welche Schlagzeile würden Sie 2020 gerne lesen?

Gysi: Gregor Gysi lehnt trotz vieler Bitten Kanzlerposten ab (lacht).

Vielen Dank für das Gespräch

Das Interview führten Lina Wattad und Tim Frehler