Münster hat entschieden: Die Stichwahl bei der Kommunalwahl bleibt

Es wird wieder gewählt in Nordrhein-Westfalen: Im September 2020 sind die Bürgerinnen und Bürger NRWs zur Kommunalwahl aufgerufen. Mit Blick auf den Wahlmodus hat das Landesverfassungsgericht in Münster jüngst eine wegweisende Entscheidung getroffen. Es wird wohl wieder zu Stichwahlen um den Posten des Bürgermeisters oder des Landrates gekommen. Danach sah es nicht immer aus. 

Am 13. September 2020 wählen die Bewohnerinnen und Bewohner des bevölkerungsreichsten Bundeslandes der Republik ihre neuen kommunalen Parlamente. Aller Voraussicht nach wird es bei der anstehenden Kommunalwahl auch wieder zu Stichwahlen um den Posten des Bürgermeisters oder des Landrates kommen. Rund um die Frage der Stichwahl hat sich ein politischer Streit entwickelt. Was steckt dahinter und warum gibt es im kommenden Herbst nun doch wieder Stichwahlen?

Die seit 2017 amtierende schwarz-gelbe Landesregierung unter Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) scheiterte Ende 2019 vor dem Landesverfassungsgericht in Münster mit einem vom Landtag angenommenen Gesetz, die Stichwahl bei Bürgermeister-, Oberbürgermeister- und Landratswahlen abzuschaffen.

Die Stichwahl in Nordrhein-Westfahlen – ein Dauerbrenner im Landtag

Nachdem die Stichwahl im Jahr 1994 von der SPD eingeführt worden war, war dies bereits der zweite Versuch innerhalb von zehn Jahren, die Stichwahl in Nordrhein-Westfalen abzuschaffen. Dies hatte Jürgen Rüttgers (ebenfalls CDU) in seiner Amtszeit von 2005 bis 2010 erfolgreich realisiert. Die damalige Opposition aus SPD und Grünen klagte dagegen in Münster; das Gericht billigte jedoch die bereits genannte Entscheidung des Landtages und die Stichwahl blieb abgeschafft. Erst die rot-grüne Landesregierung unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) führte die Stichwahl wieder ein.

Landtag stimmt für die Abschaffung der Stichwahl

Nun ein neuer Anlauf im Landtag: Am 11. April 2019 entschied sich das nordrheinwestfälische Landesparlament mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von CDU und FDP gegen die Stimmen von SPD, Grünen und AfD für eine Novellierung des Kommunalwahlrechts in Nordrhein-Westfalen. Die SPD kündigte als stärkste Oppositionsfraktion an, gegen die Novelle vor dem Landesverfassungsgericht in Münster zu klagen.

Regierung und Opposition: kaum zu vereinbarende Positionen

In einer hitzigen Debatte warfen sich Koalition und Opposition machtpolitische Motive vor. SPD und Grüne argumentierten, dass die Abschaffung der Stichwahl vor allem CDU-Kandidaten helfen würde. CDU und FDP erhoben wiederum die gleichen Vorwürfe an die SPD.

Weitere Argumente von CDU und FDP waren sowohl die gesunkene Wahlbeteiligung als auch die hohen Kosten einer Stichwahl. Aus der stark gesunkenen Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang leiteten CDU und FDP eine geringere demokratische Legitimation des Gewinners der Stichwahl ab. Des Weiteren würde laut CDU und FDP eine Stichwahl nicht zu einer höheren Partizipation der Bürgerinnen und Bürger führen, da die Akzeptanz in der Bevölkerung, ausgedrückt durch die deutlich geringere Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang, nicht gegeben sei. CDU und FDP stellten sich in ihrer Argumentation hinter das Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 26. Mai 2009, das die Stichwahl bestätigte.

Die Sozialdemokraten und die Grünen begründeten das Festhalten an der Stichwahl damit, dass in den meisten Fällen der Gewinner einer Stichwahl mehr absolute Stimmen auf sich vereinen kann als bei einer Mehrheitswahl ohne Stichwahl. Im ersten Wahlgang könnte ein Bewerber oder eine Bewerberin ins Amt kommen, die absolut gesehen nur geringe Stimmzahlen auf sich vereinen konnte. Nach Argumentation von SPD und Grünen würde eine größere demokratische Legitimation dann entstehen, wenn die Bürgerinnen und Bürger in einer Stichwahl über ihre Kandidatin oder ihren Kandidaten entscheiden könnten, da sich in dieser Wahl die absolute Zahl der Stimmen für einen Kandidaten oder eine Kandidatin erhöhen würde.

Weitere Änderungen des Kommunalwahlrechts

Eine weitere Änderung des Kommunalwahlrechts ist der Neuzuschnitt der Ratswahlkreise. Als Grundlage für die Berechnung diente vor der Novelle die Anzahl der Einwohner. Nun wurde die Grundlage dahingehend verändert, dass die Zahl der Wahlberechtigten und nicht mehr die absolute Einwohnerzahl als Grundlage dienen soll. Dies könnte in manchen Kommunen eine Neuzuschneidung und damit eine Verschiebung der Wahlkreisgrenzen bedeuten. Dies führte beispielweise dazu, dass der CDU-Ortsverband der Gemeinde Issum am Niederrhein (Kreis Kleve) seine Ratskandidaten neu wählen muss, da sich Wahlkreisgrenzen verschoben haben. Erst wenn diese Neuzuschnitte von der Verwaltung vorgenommen worden sind, können Ratskandidaten von der Mitgliederversammlung rechtssicher aufgestellt werden. Die CDU in Issum stellte jedoch ihre Kandidaten vor dieser Neuzuschneidung auf, sodass neu gewählt werden muss.

Das Landesverfassungsgericht hat entschieden: Abschaffung der Stichwahl verfassungswidrig

Das Landesverfassungsgericht argumentierte – anders als 2009 – die Abschaffung der Stichwahl sei nicht mit der Landesverfassung vereinbar. Dabei stützt sich das Gericht vor allem auf die Argumentation der Opposition. Je höher der zu erwartende Anteil der Kandidatinnen und Kandidaten sei, die im einzigen Wahlgang lediglich eine weit von der absoluten Mehrheit entfernte relative Mehrheit erreichten, umso mehr sei das demokratische Prinzip der Mehrheitswahl tangiert. Dagegen konnte das Gericht der Argumentation der Koalitionsfraktionen und der Landesregierung nicht folgen. Laut Gericht führe die Abschaffung der Stichwahl nicht zur einer Stärkung demokratischer Legitimation.

Alternative Vorschläge und Lösungsansätze

Ein alternativer Lösungsansatz, der tendenziell auch so von der nordrhein-westfälischen AfD-Fraktion eingebracht worden ist, ist die sogenannte „Integrierte Stichwahl“. Dabei gehen Bürgerinnen und Bürger nur einmal zur Wahl. Auf dem Wahlzettel machen die Bürger jedoch kein Kreuz mehr, sondern vergeben durchnummerierte Ziffern. Dabei können die Wählerinnen und Wähler durchnummerieren, welche Kandidatin oder welchen Kandidaten sie bevorzugen (zum Beispiel bei drei Kandidaten von eins bis drei). Alle Kandidaten werden gestrichen, bis auf die besten zwei (in diesem Fall Kandidat 3, da Kandidat eins und zwei in Summe mehr Stimmen der Ziffer eins erhalten haben). Entscheidend ist nun, wie die Menschen abgestimmt haben, die Kandidat 3 mit der Zahl eins präferieren. Da dieser Kandidat ausgeschieden ist, betrachtet man nun, ob Kandidat eins oder Kandidat zwei mehr Zweitstimmen von diesen Wählern erringen konnte. Dies wird danach anteilig auf das Ergebnis der zwei besten Kandidaten summiert. Befürworter dieses Verfahrens argumentieren, dass der zweite Wahlgang und die damit verbundenen Kosten vermieden werden und trotzdem ein eindeutiger Gewinner ermittelt wird. Kritiker bemängeln die zunehmende Komplexität des Wahlsystems.

Fazit

Die Debatte um die Stichwahl in Nordrhein-Westfahlen dreht sich im Kern um die Fragestellung, ob die absolute Stimmanzahl oder der relative Stimmanteil an einer Wahl einem Kandidaten oder einer Kandidatin eine höhere Legitimation verschafft. Hierbei trennen sich die Sichtweisen in zwei Lager (SPD/Grüne einerseits und CDU/FDP andererseits), die in der Vergangenheit die Stichwahl immer wieder einführten und abschafften. Während die Argumentationen für oder gegen die Stichwahl bei den politischen Playern in Düsseldorf gleichgeblieben sind, kam das Landesverfassungsgericht 2019 zu einer anderen Einschätzung als 2009. Während das Gericht im Jahr 2009 der Argumentation der damaligen Landesregierung unter Ministerpräsident Rüttgers folgte und die Klage gegen die Stichwahl ablehnte, scheiterte zehn Jahre später die Regierung Laschet mit den gleichen Kernargumenten in Münster. Somit gab es in der Auslegung der Judikative einen Wandel vom „Legitimationsgewinn einer Mehrheitswahl im ersten Wahlgang“ zu einem „Legitimationsgewinn einer Stichwahl (Direktwahl) im zweiten Wahlgang“.

Frederik Paul studiert im Bachelor Politikwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Praktische Erfahrungen hat er durch die Arbeit im “politisch-ehrenamtlichen Bereich” und durch zahlreiche Praktika erworben. Schwerpunkte seiner Arbeit sind: Kommunal- und Landtagspolitik, Verwaltungswissenschaften und Föderalismus.