„Morgens Super-Computer, abends Kunstmuseum“

Seit mehr als zwei Jahren ist Eric Miller Redenschreiber im baden-württembergischen Wissenschaftsministerium. Auf den ersten Blick mag er auf dieser Position etwas ungewöhnlich wirken: Er ist deutscher Fremdsprachler, in Amerika geboren, aufgewachsen und hat dort seinen Bachelor Germanistik, Musik und Physik studiert. Wie kommt es also, dass er nun in einem deutschen Landesministerium Reden für Ministerin und Staatssekretärin schreibt?

„Eigentlich war es Zufall. Mir war nie klar, welcher Beruf es tatsächlich wird – und ich bin auch noch nicht am Ende angekommen.“ Durch sein Studium hätte er viele verschiedene Wege einschlagen können. „Letzten Endes war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Eigentlich Zufall

Nach seinem Bachelor in Boston kommt er für sein Masterstudium nach Heidelberg – mit dem Ziel VWL-Master. Weil das deutsche System aber anders tickt, fehlen ihm ECTS Punkte. Es wird schließlich Germanistik im Kulturvergleich, wodurch ein VWL-Bezug entsteht. Als Nebenjob zum Studium wird ihn eine Stelle als englischer Sprachdozent angeboten, wodurch er auch als Sprachtrainer für die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer vorgeschlagen wird. Er bereitet sie zukünftig ebenfalls auf Reisen und Termine vor, neben Sprachunterricht lesen sie viele thematische Texte und diskutieren über Sachfragen. So wird er aufmerksam auf das Wissenschaftsministerium und – nach einer Zwischenzeit als Freiberufler – arbeitet dort zunächst als Referent für Nachhaltigkeitsprojekte. Als sein Vertrag ausläuft, wird die Stelle der Redenschreiberin vakant, eine Nachfolge wird gesucht. „Ich wollte eh gerne politischer Arbeiten.“ Im Sprachunterricht kommt die Stelle zur Sprache. Klar, er hat davor schon englische Reden geschrieben oder übersetzt – aber auf Deutsch? „Ich dachte mir, vielleicht klappt es nicht und ich muss nach ein paar Monaten wieder wechseln. Inzwischen schreibe ich seit mehr als zwei Jahren auch die deutschen Reden.“ Er hatte mit mehr Widerstand gerechnet, als Nicht-Muttersprachler. „Aber anscheinend haben meine Kolleginnen schnell bemerkt, dass ich was auf dem Kasten habe.“

„Ich bin überhaupt kein Frühaufsteher, vielmehr eine richtige Nachteule“

Lesen ist ein sehr wichtiger Teil des Tages: Ob der tägliche Pressespiegel, allgemeine Nachrichten, empfohlene Bücher – die Inspiration für seine Reden nimmt Miller überall her. Manchmal sogar aus der Popmusik. Er hat Notizbücher voll von Ideen, Post-its, die seinen kompletten Schreibtisch zieren.

Mit dem Lesen startet auch ein ganz normaler Tag. Dazwischen hat er häufig Rücksprachen zu anstehenden Reden, spricht mit Experten oder den Fachreferenten. Ein fester Termin ist die Presselage. Hier wird über die tagesaktuelle Nachrichtenlage gesprochen sowie über anstehende Termine oder aktuelle Themen. In seiner Mittagspause geht er häufig spazieren, um wieder wachzuwerden.

Das „richtige Schreiben“ fängt dann erst nachmittags an, wenn es ruhiger wird. Den frühen Abend nutzt er für Emails und Ablage.

Regelmäßig begleitet er die Amtsspitze auch zu ihren Terminen, wo die Reden vorgetragen werden. Manchmal ist das zeitlich schwierig, je nach Fahrzeit und Arbeitspensum im Büro. „Nur so erinnert man sich, was man tagtäglich tut und wofür man es tut. Man lernt, wie der Politiker selbst spricht, wie sein Stil ist, was sie mögen. Und man sieht die Reaktion des Publikums, und lernt damit, was funktioniert und was eben nicht.“ Und der Job bringt durch sein Themenspektrum – Wissenschaft, Hochschulen, Kunst – viel Abwechslung mit: „Morgens schreibe ich über Super-Computer und abends höre ich meine Rede über Kunst in der Staatsgalerie.“

Wenn die Oma es versteht…

Bei der Arbeit mit Rhetorik und gesprochenem Wort kann man viel schaffen. „Vor allem in meinem Arbeitsbereich ist es wichtig, komplizierte Sachverhalte und Ideen einfach auszudrücken.“ Die meisten Reden, die Eric schreibt, sind maximal 10 Minuten lang. Das ist relativ kurz, umso wichtiger ist es, alles Relevante in diesem Zeitslot unterzubringen, ohne dass es den Zuhörer überfordert. Gleichzeitig ist eine Rede, neben Zeitungsartikeln, der einzige Kontaktpunkt, den viele Bürgerinnen mit Politikerinnen haben. „Diese Zeit muss ich nutzen, um den Bürgerinnen zu erklären, was die Politik macht. Ich bin als Amerikaner auch bereit, Sachen einfach zu sagen, was sich viele Deutsche so wahrscheinlich nicht trauen würden. Wenn also auch die Oma im Raum mit meiner Rede erreicht werden kann, ist die Rede gut.“ Und sein ganz persönliches Credo: „Wenn ich als Nicht-Muttersprachler eine Rede verstehe, kann sie das auch!“

Vera Weigelt studierte im Bachelor Soziologie und Politikwissenschaften an der Universität Tübingen und ist seit 2018 Masterstudent an der NRW School of Governance. Praktische Erfahrungen sammelte sie unter anderem in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eines Landesministeriums